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Begegnungen
I
Ein dunkelhaariger Mann saß auf einem burgunderfarbenen Sessel
in der großen Lobby eines Hotels. Es herrschte reges Treiben,
und er versuchte sich auf die Zeitung in seiner Hand zu
konzentrieren. Ein Hotelangestellter kam auf seinen Platz zu.
"Es tut mir leid, Mister Kingston, aber die Straße ist noch
unbefahrbar. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Straße zur
Brücke wieder frei ist."
"Danke. Da kann man wohl nichts machen und muss abwarten."
Er versank wieder in seine Zeitung. Zum dritten Mal versuchte er
es jetzt, wurde aber immer wieder abgelenkt. Schon wieder laute
Stimmen, die den Raum erfüllten. Er blickte hoch zur Rezeption.
Dort stand eine Frau in schlichten Jeans und einem dunklen
Pullover. Sie hatte weibliche Formen, und ihr dunkelblondes Haar
reichte ihr bis über die Schultern. Er konnte beobachten, wie
sie sich mit dem Hotelangestellten angeregt unterhielt. Als
hätte sie seinen Blick gespürt, drehte sie sich herum. Ihre
Blicke trafen sich. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und
sie nickte ihm freundlich zu, sodass er sich ertappt fühlte.
Aber er erwiderte das Nicken. Sie drehte sich wieder um, nahm
einen Schlüssel entgegen und ging Richtung Fahrstuhl. Er sah ihr
nach und spürte das Verlangen ihr zu folgen. Schnell verdrängte
er es und legte die Zeitung beiseite. Er griff nach seinem
Laptop und versuchte sich in seine Arbeit zu vertiefen. Die
Ölgeschäfte liefen gut, und an der Börse gab es keine Probleme.
Er sah auf den Monitor und sah doch durch ihn hindurch. Seine
Gedanken waren wieder bei dieser Frau. Sie ließ ihn nicht los.
Immer wieder tauchten ihr Blick und dieses leicht spöttische
Lächeln in seinen Gedanken auf. Er klappte den Laptop zu, denn
es hatte keinen Sinn, weiter zu arbeiten. Er packte seine Sachen
zusammen und ging nach oben in seine Suite. Als er aus dem
Aufzug stieg, sah er noch den dunklen Zipfel eines Pullovers um
die Ecke eilen. Er stockte kurz und schüttelte dann den Kopf.
"Nun sehe ich schon Gespenster", sagte er zu sich selbst.
Er betrat seine Suite, warf den Laptop achtlos auf die schwarze
Ledercouch und ging an das Fenster. Dicke Flocken schwebten zu
Boden, und die Berge schimmerten mit dem weißen Puder in der
Sonne. Es fröstelte ihn und er überlegte, in die Sauna zu gehen.
Das würde ihm gut tun und ihn auf andere Gedanken bringen.
Die Sauna war leer, das freute ihn. Wenigstens hier hatte er
seine Ruhe. Er legte sich auf eine Bank und schloss die Augen.
Keine fünf Minuten dauerte es, und schon wieder dachte er an
sie. Seine Fantasie spielte verrückt, er stellte sich vor, wie
sie vor ihm kniete mit gesenktem Blick. Der Gedanke verursachte
Herzklopfen bei ihm. Hatte er Entzugserscheinungen? Seit seine
Freundin mit seinem besten Freund verschwunden war, hielt er
sich von Frauen fern. Es war mehr als zwei Jahre her, und er
konnte sich nicht dazu durchringen, wieder Interesse für eine
Frau zu zeigen. Seine Gedanken schweiften erneut zu der jungen
Frau, und je mehr er an sie dachte, desto mehr erregte ihn dies.
Er war so tief versunken, dass er nicht mitbekam, wie jemand den
Raum betrat. Auch als der Aufguss auf die heißen Steine traf und
ein Zischen zu hören war, kehrte er nicht in die Realität
zurück. Er genoss den Moment, war absolut entspannt und wurde
erst abrupt aus seinen Träumen gerissen, als eine sanfte
Frauenstimme erklang.
"Aber nicht einschlafen, denn dann trocknet man zu sehr aus."
Er öffnete die Augen und brauchte einen Moment, bis er überhaupt
klar sehen konnte, aber da ging die Saunatüre schon zu. Es
dauerte, bis er wenigstens halbwegs wieder klar bei Verstand
war. Nun verließ auch er den Saunaraum und tauchte ab in das
kalte Becken. Bald wurde es Zeit für das Abendessen, denn sein
Magen knurrte.
Er saß, wie in den letzten Tagen, an dem kleinen Tisch in einer
Ecke. Er bestellte ein Wildgericht und einen guten Wein dazu.
Kaum drehte sich der Kellner weg und ging, da sah er, wie sie
den Raum betrat und sich fragend umsah. Sie erblickte ihn und
lächelte ihn an. Sein Herz machte einen kleinen Sprung, und er
lächelte zurück. Sie kam mit geradem Schritt auf seinen Tisch
zu.
"Ist hier noch frei? Darf ich mich zu Ihnen setzen?"
"Ja natürlich, nehmen Sie Platz."
"Danke, ich hab gerne ein wenig Unterhaltung beim Essen", sagte
sie lächelnd, und er reichte ihr die Hand.
"Mein Name ist Steve Kingston."
Sie nahm seine Hand und erwiderte den festen Händedruck. "Luisa
Baker."
Steve sah ihr geradewegs in die Augen, sie hielt seinem Blick
stand und erzählte fröhlich von ihrem Job. Er hörte ihr nur halb
zu; ihre Augen faszinierten ihn. Sie waren strahlend grau und in
ihnen tanzten braune Punkte, während sie erzählte. Ihre Lippen
waren sehr sinnlich und von leichten Falten begrenzt, was darauf
schließen ließ, dass sie gerne lachte. Er nahm jede Kleinigkeit
in ihrem Gesicht wahr und immer weniger, worüber sie redete,
aber der Klang ihrer Stimme berauschte ihn. Seine Sinne waren
benommen, er schmeckte nichts und nahm auch die Welt um ihn
herum nicht mehr wahr. Nur noch diese grauen Augen. Seine
Fantasie arbeitete auf Hochtouren.
"Du hast genug gegessen", sagte er leise, aber mit Nachdruck.
Sie sah ihn zunächst verblüfft an, dann legte sich ein
spöttisches Lächeln auf ihr Gesicht.
"Bitte?", fragte sie ruhig und hob die Gabel mit dem nächsten
Bissen langsam zum Mund. Sie aß aufreizend und provozierend
weiter. Er war sich sicher, dass sie verstanden hatte, was er
gesagt hatte. Er war verwirrt. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie
eine Frau war, die es liebte, sich zu unterwerfen. Warum also
sträubte sie sich? Sie unterhielten sich, als sei nichts
gewesen. Er war bemüht, dem Gespräch seine ganze Aufmerksamkeit
zu widmen. Er hörte die Worte, aber sie drangen nicht in seinen
Kopf vor. Während er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen,
bemerkte er gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Das Essen
war schon lange abgeräumt, als sie sich verabschiedete. Eine
gewisse Traurigkeit und das Gefühl einer verpassten Chance
machten sich in ihm breit. Er schaute ihr nachdenklich nach.
In dieser Nacht schlief er nicht gut. Sein Unterbewusstsein ließ
ihn nicht in Ruhe. Er fühlte sich mit seinen 36 Jahren sehr alt
am nächsten Morgen und blieb noch einige Zeit mit offenen Augen
auf dem Bett liegen. Der Gedanke an seine ehemalige Geliebte
tauchte wieder auf, und er spürte zum wiederholten Male den
Stich im Herz. Schnell schob er den Gedanken wieder weg. Die
Frau von gestern trat an ihre Stelle. Er überlegte krampfhaft,
wie ihr Name war. Er wusste, dass sie ihn gesagt hatte, aber er
hatte wohl zu viele anderen Gedanken im Kopf. Sein Verlangen
nach einer guten Tasse Kaffee holte ihn in die Realität zurück.
Er streckte seine Einmeterdreiundneunzig und trottete nackt ins
Badezimmer.
Als er später den Speiseraum betrat, glänzte sein Haar noch
feucht, wodurch es noch dunkler wirkte. Auf halben Weg zu seinem
Tisch bemerkte er erst, dass dort schon zwei Personen Platz
genommen hatten. Der Mann sah ihn kommen und sagte etwas zu
seiner Begleiterin. Sie war es, die Frau von gestern. Sie hob
den Kopf und schaute in seine Richtung; ein kleines Lächeln
umspielte kurz ihre Lippen. Der Mann erhob sich und reichte
Steve die Hand.
"Ich bin Ernesto Rodrigez, mein Eigentum Luisa kennen sie ja
schon", sagte er mit einem leicht arroganten Tonfall.
"Steve Kingston", brachte Steve nur abwesend heraus, das Wort
"Eigentum" hallte ihm lange im Kopf nach. Sie setzten sich
wieder und Steve musterte Ernesto eindringlich. Er war
mindestens doppelt so alt wie Luisa, silbernes Haar, seine
Augenbrauen hingegen waren noch schwarz und so buschig, dass die
braunen kalten Augen kaum zu sehen waren.
"Ich hoffe, mein Eigentum war gestern nicht zu aufdringlich zu
Ihnen?"
Ernesto verzog keine Miene bei der Frage und sah ihn lauernd an.
"Nein, sie hat mich höflich um Erlaubnis gefragt, und ich war
einverstanden."
"Sehr schön, ich weiß ja, dass Luisa ein wahrer Sonnenschein im
Provozieren sein kann."
"Ja allerdings", erwiderte Steve gedankenverloren, und schon im
nächsten Moment spürte er, dass er etwas Falsches gesagt hatte.
Ernesto hatte sich sofort angespannt und eine Augenbraue
hochgezogen. Er holte plötzlich aus und gab Luisa eine
schallende Ohrfeige. Sie presste ein "Danke, mein Herr" über die
Lippen.
Während sie frühstückten, verwickelte Ernesto ihn in ein
Gespräch über Gott und die Welt. Steve erfuhr, dass Ernesto mit
antiken Möbeln handelte und deswegen viel im Ausland unterwegs
war. Steve wollte nicht darüber nachdenken, was in solchen
Zeiten wohl mit Luisa war. Als hätte Ernesto seine Gedanken
geahnt, wandte sich dieser an Luisa.
"Du bist fertig mit deinem Frühstück!?"
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Wieder sagte sie
mit gesenktem Blick:
"Ja, mein Herr."
Ernesto packte Luisa hart am Handgelenk und zischte ihr zu:
"Dann geh und kühl dich ab!" Luisa zuckte zusammen.
"Wie Ihr wünscht, mein Herr."
Ein leichtes Zittern lag in ihrer Stimme. Steve sah ihr nach,
als sie den Raum verließ. Ernesto verwickelte ihn schnell wieder
in ein Gespräch übers Ölgeschäft. Zwei Stunden waren wie im Flug
vergangen, als ein Page Ernesto zum Telefon rief. Erst jetzt
bemerkte Steve diesen eleganten schwarzen Stock, dessen Knauf
dem Kopf eines Wolfes nachgebildet war. Der Knauf war aus reinem
Silber, und rote Rubine bildeten die Augen des Wolfes. Steve
wusste genau, dass er diesen Stock kannte, er hatte ihn schon
einmal gesehen und bestaunt, aber wo und wann, das kam ihm nicht
in den Sinn.
Ernestos Telefonat dauerte etwas länger, und Steve nutzte die
Gelegenheit, in seiner Firma anzurufen. In der Lobby liefen sie
sich wieder über den Weg. Ernesto lächelte Steve an.
"Kommen Sie, lassen Sie uns ein wenig Luft schnappen gehen."
Er legte Steve seine Hand auf die Schulter. Steve spürte das
Verlangen, sie herunterzuschlagen. Ihm gefiel die Situation
nicht, und Ernesto mochte er immer weniger. Beim Hinaustreten
schlug ihnen eisiger Wind entgegen. Es schneite immer noch, aber
der Sturm hatte aufgehört. Sie gingen über einen schmalen Weg,
der um das Hotel herumführte. Auf der Rückseite des Hotels
befand sich eine kleine Scheune. Vor ihr kauerte etwas auf dem
Boden, etwa zwanzig Schritte davor stockte Steve. Er traute
seinen Augen nicht. Dort hockte Luisa, so wie Gott sie
erschaffen hatte, nur mit einem einfachen Lederhalsband um, auf
den Knien sitzend, den Kopf gesenkt. Das lange Haar klebte an
ihrem zitternden Körper. Steve hörte Ernesto aus weiter Ferne
sagen, dass er noch einmal kurz ins Hotel zurück müsse. Steve
konnte den Blick nicht von Luisa nehmen und ging langsam auf sie
zu. Je näher er kam, umso mehr konnte er sehen, wie sehr sie
zitterte. Ihre Füße hatten schon eine blaue Färbung angenommen.
Sein Blick wanderte über ihren Körper. Sie hatte viele Narben
und ihre Haut war so bleich, dass sie im Schnee nicht mehr
auffiel. Nun stand er neben ihr, hörte ihren Atem rasseln.
"Warum um Himmelswillen hockst du hier? Du wirst dir den Tod
holen!"
Sie zuckte zusammen. "Geht bitte. Es ist nicht gut, wenn wir
reden. Er wird es nicht dulden. Lasst mich."
Ihre Stimme klang sehr dünn, Steve machte sich Sorgen.
"Ich bleibe und werde dich nicht alleine lassen. Verdammt, wie
lange hockst du hier schon? Dazu hat er kein Recht!"
Wut machte sich in Steve breit.
"Doch, er hat das Recht."
Sie hob den Kopf an und schaute ihm in die Augen.
"Ich bin sein Eigentum, das gibt ihm das Recht dazu."
Schnell schaute sie wieder zu Boden. Ernesto stand plötzlich
wieder hinter ihm. Er warf Luisa ihre Sachen zu.
"Zieh dir was über. In fünf Minuten bist du oben auf unserem
Zimmer."
Er drehte sich um und ließ beide im Schnee zurück. Luisa griff
nach ihrer Kleidung, doch ihr Körper war zu sehr unterkühlt, als
dass sie etwas hätte greifen können. Steve packte sie kurz
entschlossen, doch selbst in diesem geschwächten Zustand merkte
er noch eine leichte Gegenwehr von Luisa. Er trug sie in die
Scheune und setzte sie sanft auf den Boden.
"Ich werde dir helfen", sagte er sehr sanft.
Es war für ihn eine etwas seltsame Situation, war er es doch
sonst eher gewohnt, Frauen zu entkleiden. Wieder fragte er: "Wie
lange hat er dich dort sitzen lassen?"
"Ich weiß nicht, ich bin hinausgegangen, kurz nach dem
Frühstück. Ich hab jedes Zeitgefühl verloren", antwortete sie
zaghaft.
Steve holte tief Luft. Eine halbe Stunden war eine lange Zeit.
Zu lange. Er konnte sehen, wie sich die Panik in ihren grauen
Augen breitmachte, je länger das Ankleiden dauerte. Wut drohte
in ihm aufzusteigen, aber er wollte sie nicht zeigen. Luisa war
nun soweit angezogen, bis auf die Schuhe. Ernesto hatte keine
mitgebracht. Er wollte wohl, dass sie auf nackten Füßen lief.
Dabei konnte sie doch kaum stehen. Steve überlegte nicht lange,
nahm sie wieder auf den Arm und trug sie um das Hotel herum. Ihr
Gesicht war ganz nah an dem seinen, er roch sie, fühlte ihren
kalten Körper. Er sah ihr ins Gesicht, und als sie den Kopf hob,
schaute sie ihm in die Augen. Wieder diese grauen Augen. Er
konnte nicht anders. Ganz zart küsste er sie auf die bläulichen
Lippen.
Sie wehrte sich nicht und flüsterte leise: "Das ist nicht gut
für uns beide!"
Im Hotel setzte er sie vorsichtig auf die Füße und hielt sie
noch einen Augenblick, bis sie sich gefangen hatte. Sie lächelte
ihn etwas kläglich an und schwankte dann zum Aufzug. Sehr
nachdenklich schaute Steve ihr nach, denn er hatte ein sehr
schlechtes Gefühl, sie gehen zu lassen.
Luisa hatte Schwierigkeiten, geradeaus zu laufen, und sie war
froh, als sie endlich das Zimmer erreicht hatte. Beim Eintreten
sah sie, dass Ernesto in einem Sessel gegenüber der Türe saß.
Sie schloss die Türe hinter sich und ging auf die Knie.
"Du bist zu spät!" sagte er gereizt.
"Verzeiht mir bitte, mein Herr, aber die Kälte. Ich konnte
nicht...."
Weiter kam sie nicht. Ernesto war aufgesprungen und in drei
schnellen Schritten bei ihr. Die Ohrfeige war so heftig, dass
sie Luisa von den Knien holte und sie benommen machte. Mehr aus
Reflex als mit klarem Gedanken sortierte sie sich sofort wieder
in ihre kniende Position.
"Ich will keine verdammten Ausreden von dir hören. Du tust, was
ich dir sage. Wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass du es
tust", brüllte er sie an.
Sie zuckte zusammen, denn er war außer sich. Am liebsten wäre
sie fortgelaufen, aber das wäre zwecklos gewesen. Schon zu oft
hatte sie es versucht, es war immer vergeblich und die Strafen
sehr hart.
"Zieh dich wieder aus. Ich werde dich dran erinnern, dass du mir
gehörst", zischte er wütend.
Während Luisa sich auszog, hängte Ernesto eine Kette an einen
Haken in der Decke. Luisa hütete sich davor, auch nur einmal den
Kopf zu heben, aber auch so kannte sie jede seiner
Handbewegungen. In den endlos vielen Jahren, die sie jetzt bei
ihm war, hatte sie ihn besser kennen gelernt, als ihr lieb war.
Er winkte sie zu der Kette. Luisa ging schwankend zu ihm.
"Streck deine Hände aus."
Es klickte, als die Handschellen zuschnappten. Für Luisa klang
dieses Geräusch immer sehr endgültig. Er zog ihre Arme hoch und
hakte sie in den Karabiner in der Kette ein. Er packte ihr Kinn
und hob ihren Kopf an.
"Ich werd dir helfen, andere Männer zu betören."
Er grinste diabolisch dabei. Dann ging er zum Schrank und holte
sein kleines Stromgerät heraus, dessen Klemmen er an ihren
Brustpiercings befestigte. Die Angst stand in Luisas Augen. Ein
markerschütternder Schrei entfuhr ihr, als er den Strom
anschaltete. Er lachte. Das Gerät war voll aufgedreht. Auch beim
zweiten Mal konnte Luisa den Schrei nicht verhindern. Ernesto
verpasste ihr daraufhin einen Knebel und flüsterte ihr ins Ohr:
"Ich bin noch lange nicht fertig mit dir."
Grob zog er die Klammern von den Piercings und Luisa stöhnte
auf. Er packte die Gerte und ließ sie durch die Luft zischen.
"Dreißig fürs Zuspätkommen und zwanzig für deine dummen
Ausreden. Das Aufwärmen spare ich mir. Dir wird schon warm genug
dabei werden."
Wieder lachte er und noch dabei holte er zum ersten Schlag aus.
Luisa konnte wegen des Knebels nur stöhnen und wimmern.
Irgendwann verschwamm die Welt um sie herum und eine süße
Dunkelheit erfasste sie. Doch grob wurde sie wieder
herausgerissen. Sie spürte, wie das kalte Nass an ihrem Körper
heruntertropfte.
"So einfach werde ich es dir nicht machen, Schlampe."
Er stand mit einer Bullwhip vor ihr. Grinsend tätschelte er ihre
Wange. Luisa konnte vor Schwäche schon nicht mehr richtig stehen
und hing fast nur noch in den Handschellen. Trotzdem versuchte
sie instinktiv, den harten Schlägen auszuweichen. Je mehr sie es
versuchte, umso härter schlug er zu. Es war ihm egal, wo er
traf, Hauptsache, die Whip erreichte ihr Ziel. Luisa wimmerte,
schluchzte und stöhnte, so wie es der Knebel zuließ. Zweimal
versank sie in die rettende Dunkelheit, aber Ernesto holte sie
immer wieder zurück. Er quälte sie, bis jeder, auch der
geringste Widerstand erstarb und sie nur noch bewegungslos alles
über sich ergehen ließ. Luisa registrierte zunächst nicht, dass
er aufgehört hatte, denn jede Faser ihres Körpers schmerzte. Sie
spürte etwas Kaltes unter ihrem Kinn und ein kleines Stechen
dort. Er stand vor ihr, die Klinge seines Messers an ihrem Hals.
"Das ist meine letzte Warnung an dich. Ich hätte nicht übel
Lust, dir ein Muster ins Gesicht zu schnitzen. Ich verspreche
dir, beim nächsten Mal wirst du sie mehr spüren, als dir lieb
ist."
Langsam zog er die Klinge vom Hals abwärts quer über die Brust.
Die Klinge war sehr scharf, und zurück blieb ein dünner Schnitt,
aus dem sofort etwas Blut herausquoll. Luisa schoss ein Gedanke
durch den Kopf:
"Warum sticht er nicht einfach zu und beendet es endlich?"
Ernesto lachte auf, als ob er ihren Gedanken gelesen hätte, und
flüsterte ihr ins Ohr: " Nein, meine Schlampe, das wäre viel zu
einfach für dich."
Er öffnete die Handschellen und ließ sie zu Boden fallen.
"Ich werde jetzt gehen und ein neues Spielzeug testen. Mal
sehen, wie viel die Kleine aushält. Du wirst die Nacht nackt auf
dem Boden verbringen!Und denk nicht mal dran, deine Nase aus
diesem Zimmer zu halten!"
Er packte seinen Mantel und den Stock, dann verließ eiligen
Schrittes das Zimmer. Draußen waren kurz Stimmen zu hören und
schließlich Ernestos höhnisches Lachen. Luisa lag zitternd am
Boden, unfähig, sich zu bewegen.
Steve hatte ihr nachdenklich hinterhergeschaut, bis sich die
Fahrstuhltür schloss. Dieses schlechte Gefühl in seinem Magen
wollte einfach nicht verschwinden. Er entschloss sich, an die
Bar zu gehen. Ein Drink würde ihm gut tun. An der Bar war wenig
los, er setzte sich an die Theke und bestellte einen Whiskey on
the Rocks.
"Die Welt ist schon verrückt", entfuhr es Steve.
Der Barkeeper sah ihn freundlich an. "Frauen?"
Steve nickte zustimmend.
"Sie zu verstehen, ist wohl das größte Problem eines Mannes",
sagte der Barkeeper lächelnd. Selbst Steve musste schmunzeln,
obwohl ihm gar nicht danach war. Sie führten ein wenig small
talk übers Wetter und die Wirtschaftslage, als sich ein jüngerer
Mann zu ihnen gesellte. Er sah ziemlich aufgeregt und auch
verärgert aus. Kaum hatte er sein Getränk bekommen, als es aus
ihm heraussprudelte.
"Ich fasse es nicht. In dem Zimmer nebenan prügelt jemand seine
Frau, und zwar so sehr, dass sie schreit, jammert und wimmert.
Und was bekomme ich vom Hotelchef zu hören? Machen Sie sich
keine Sorgen, es ist alles okay! Meine Frau dreht fast durch,
und als ich den Typen von nebenan auf dem Flur treffe, ist sein
Hemd voller Blutspritzer. Ich spreche ihn darauf an und er lacht
mich einfach aus."
Er war so wütend und in Rage, dass er rot anlief. Steve schaute
ihn ungläubig an und war weiß geworden. Der Barkeeper sprach
beruhigend auf den jungen Mann ein.
"Sie meinen Mr. Rodrigez. Machen Sie sich keine Sorgen, er ist
mindestens viermal im Jahr bei uns. Seine Freundin mag es,
Schmerzen zugefügt zu bekommen. Sie sind etwas eigenartig."
Steve wurde es auf einmal übel.
"Aus welchem Zimmer kamen diese Geräusche?"
Der junge Mann schaute ihn verdattert an.
"Aus Nummer 341, direkt neben meinem Zimmer."
Steve zahlte seinen Whiskey und ging eilig zum Fahrstuhl.
Leornard
II
Luisa lag lange Zeit auf dem Boden, unfähig, sich zu bewegen,
und nur mit Not konnte sie sich von dem Knebel befreien. Ihr war
schwindelig, und ein Hustenreiz nach dem anderen machte es auch
nicht gerade besser. Ein Klopfen an der Türe riss sie aus ihrer
Lethargie. Es dauerte einen Moment, bis sie die Stimme von Steve
erkannte. Es kostete sie viel Kraft, bis zur Türe zu kriechen,
aber noch einiges mehr, sich an der Klinke hochzuziehen. Sie
wollte nicht, dass jemand auch nur ahnte, wie schwach sie in
diesem Moment war. Steve stand vor der Türe und
lauschte, bis er ein leises Husten hörte. Im ersten Moment war
er erleichtert, dann klopfte er und rief vorsichtig nach ihr.
"Luisa, ich bin es, Steve. Mach bitte die Türe auf. Ich weiß,
dass du alleine bist."
Er lauschte wieder, aber nur ein kleines Rascheln war zu hören.
Er klopfte jetzt energischer.
"Mach bitte auf, oder muss ich erst die verdammte Türe
eintreten? Ich will doch nur wissen, ob du okay bist."
Und wieder lauschte er. Er konnte hören, dass sie jetzt an der
Türe sein musste, konnte ihren Atem rasseln hören und dann ganz
schwach ihre Stimme.
"Geh bitte, ich darf dir nicht öffnen. Ich möchte dich nicht in
Gefahr bringen."
Steve stand erst etwas ratlos und verblüfft vor der Türe. Seine
Gedanken spielten verrückt.
"Gefahr? Ich?"
Entschlossen hämmerte er mit der Faust gegen die Türe.
"Du machst jetzt die Türe hier auf, ich gehe nicht eher weg. Zur
Not werde ich sie eintreten, und zwar, wenn du sie in zwei
Minuten nicht aufgemacht hast!"
Steve hörte, wie die Klinke gedrückt wurde, und die Türe öffnete
sich vorsichtig einen Spalt. Steve sah ein bleiches Gesicht vor
sich, eine Seite war geschwollen. Er drückte etwas gegen die
Türe, um sie weiter zu öffnen. In diesem Moment verlor Luisa das
Gleichgewicht. Steve reagierte rein instinktiv, griff sofort zu
und fing sie auf, bevor sie fallen konnte. Doch bei ihrem
Anblick hätte er fast den Griff wieder gelöst. Er nahm sie
sofort auf den Arm und spürte den kalten Schweiß auf ihrer Haut.
Ihr Atem rasselte, und ein Hustenreiz nach dem anderen
schüttelte sie. Er legte sie sehr vorsichtig aufs Bett.
"Ich werde jetzt einen Arzt rufen. So geht das nicht. Du bist
sehr krank, und deine Verletzungen müssen nachgesehen werden."
"Nein, bitte nicht. Das macht alles nur noch viel schlimmer. Er
wird komplett durchdrehen. Es geht nicht."
Panik stand in ihren Augen, so groß, dass ihr fast die Tränen
kamen.
"Ich werde einen Arzt rufen, ob es dir nun passt oder nicht. Du
gehst mir hier zugrunde, wahrscheinlich hast du eine
Lungenentzündung. Mach dir keine Gedanken, ein Arzt unterliegt
der Schweigepflicht."
Sie sackte in sich zusammen, ihren Widerstand hatte sie
aufgegeben. Steve griff zum Telefon und sprach mit der
Rezeption, er ließ sie dabei keinen Augenblick unbeobachtet.
Fast ihr ganzer Körper war gezeichnet und voller Wunden.
Ein Arzt würde kommen, die Straße zum Dorf war wieder frei, aber
es würde etwas dauern. Steve machte sich währenddessen daran,
ihre Wunden schon zu versorgen. Als die Tinktur das erste Mal in
eine der offenen Wunden kam, zuckte sie zusammen. Steve
flüsterte ihr etwas Beruhigendes ins Ohr und streichelte sanft
über ihre Wange. Nun zuckte sie nicht mehr. Es waren sehr viele
kleine Wunden, keine davon sehr tief. Es dauerte einige Zeit,
bis Steve mit ihrer Rückseite fertig war. Vorne stellte er fest,
dass ihre Brustpiercings entzündet waren und
blutverkrustet. Als er sie reinigen wollte, drehte sie sich
ängstlich weg. Wieder redete er mit ihr, doch die Panik in den
Augen blieb. Er fragte sich, was dieses Tier mit ihr angestellt
hatte, aber ein Rundblick in diesem Zimmer ließ es ihn erahnen.
Als er mit der Versorgung der Wunden fertig war, deckte er sie
zu. Sie war schläfrig geworden. Ihr Körper war immer noch mit
kaltem Schweiß bedeckt und ihre Stirn glühte. Sie war sehr
unruhig und Fieberträume schüttelten sie. Noch nicht einmal, als
es an der Türe klopfte, reagierte sie. Steve öffnete einen
älteren kleinen Mann mit Brille.
"Guten Tag. Ich hoffe, ich bin hier richtig. Sie verlangten nach
einem Arzt? Was für ein Problem haben Sie denn?", fragte er
freundlich.
"Eine Freundin hat sich wohl eine Lungenentzündung zugezogen.
Aber das ist noch nicht alles. Ihr Freund hat ihr mehrere
Verletzungen zugefügt. Sie liegt dort im Bett, glüht und hat
sicher Fieber."
Steve führte den Arzt zu Luisa ans Bett und ließ ihn bei der
Untersuchung mit ihr alleine. Nach etwa zehn Minuten kam der
Arzt zu Steve. Er sah sorgenvoll und sehr ernst aus.
"Sie hat ziemlich hohes Fieber und eine Lungenentzündung. Ich
frag wohl besser nicht, was er mit ihr gemacht hat. Jedenfalls
werde ich einen Krankenwagen bestellen, denn sie muss ins
Krankenhaus. Haben Sie die Wunden versorgt? Das hat mir viel
Arbeit erspart. Ich habe ihr ein Antibiotikum und ein
Aufbaupräparat gespritzt. Mehr kann ich hier nicht für sie tun."
"Danke Doc, ich werde sie ins Krankenhaus begleiten. Ich möchte
dort sein, falls ihr Freund auftaucht."
"Das halte ich für eine gute Idee. Sie braucht nun Ruhe. Es wird
etwas dauern, bis der Krankenwagen hier sein wird, aber er kommt
auf jeden Fall."
Steve gab dem Doc die Hand und ließ ihn hinaus. Er schaute kurz
nach Luisa, griff dann zum Telefon und meldete ein R-Gespräch
an. Kurze Zeit später klingelte das Telefon.
"Ja! Hallo? Omar? Hier ist Steve. Ja, bei mir ist alles okay,
nur viel Schnee. Die Straße über die Brücke ist morgen wieder
frei, aber ich komme ein paar Tage später. So zirka in 5-7
Tagen. Ich hab hier noch etwas Dringendes zu klären. Bei dir
alles okay? Ja, okay. Ich rufe dich an, wenn ich losfliege. Bis
dann, mein Freund."
Steve legte auf und schaute sich einen Moment ratlos um. Dann
ging er zu Luisa ans Bett und wartete auf den Krankenwagen.
Ernesto war in die Kälte hinausgetreten, mit einem Grinsen auf
seinem Gesicht. Er fühlte sich jedes Mal so gut, wenn er seiner
Wut freien Lauf gelassen hatte. Für ihn war es ein berauschendes
Gefühl, wie nach einem Orgasmus, und er war schon regelrecht
süchtig danach. Ein Page fuhr seinen Bentley vor. Gut gelaunt
stieg er ein und fuhr langsam die Straße zum Dorf hinunter. Es
war ziemlich klein und lebte vom Tourismus. Aber obwohl es
mitten in der Saison war, machte das Dorf einen verschlafenen
Eindruck. Kaum ein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Vor dem
letzten Haus wurde er langsamer und parkte in der Einfahrt. Ein
altes Bauernhaus mit geschlossenen Fensterläden, scheinbar
unbewohnt.
Ernesto streichelte über den Knauf seines Stockes und legte ihn
dann in den Fußraum vor die Rücksitze. Er stieg aus und ging zur
Rückseite des Hauses. Der Hubschrauber war nicht zu übersehen.
Als er dort einstieg, war das Grinsen gänzlich aus seinem
Gesicht verschwunden. Der Pilot startete, ohne auch nur ein Wort
mit ihm zu wechseln. Er mochte diesen großen blonden Mann nicht,
er war ihm unheimlich und er hatte ihn noch nie reden gehört.
Es vergingen knappe zehn Minuten, bis Ernesto das Anwesen sehen
konnte: eine große Villa auf einem Berg mit nur einer
Zufahrtsstraße. Sie sah aus wie ein kleines Schloss, nur ohne
Burgmauern und Burggraben, aber dafür mit einem großen Balkon,
der um das ganze Haus herumführte und von einem Mäuerchen
umfasst war. Je näher sie dem Anwesen kamen, desto unwohler
fühlte er sich. Es machte ihn wütend, dass ihn sogar der Anblick
dieses Hauses einschüchterte. Der Hubschrauber landete vor dem
Haupteingang, und Ernesto musste sich durch den hohen Schnee zum
Eingang kämpfen. Noch bevor er die große Holztüre erreicht
hatte, wurde diese geöffnet und der ihm bekannte Butler war zu
sehen.
"Herr von Karszow erwartet Sie bereits in seinem Arbeitszimmer."
"Danke", knurrte er unwirsch.
Der Butler sah ihm missmutig hinterher, als Ernesto mit
schneebedeckten Schuhen eintrat. Er ging durch die riesige Halle
und seine Schritte hallten auf dem Marmorboden im ganzen Haus
nach. Er sah die Holztreppe mit dem geschnitzten Geländer, ging
vorbei an großen Gemälden. An der Türe rechts von der Treppe
blieb er stehen. Er klopfte kurz und trat ein. Sofort wurden
seine Schritte von einem dicken Teppich gedämpft. Er ging auf
den großen Eichenschreibtisch zu und auf den Mann, der dahinter
am Fenster stand, ihm mit dem Rücken zugewandt. Auf einen
schwarzen Stock gestützt, schaute er regungslos zum Fenster
hinaus. Seine Gestalt war groß, schlank und er hatte
dunkelblonde, schulterlange Haare. Der schwarze Gehrock ließ ihn
sehr elegant erscheinen. Ernesto wurde langsam unruhig, trat von
einem Bein auf das andere. Der Blonde sprach ihn leise aber
schneidend an.
"Du wirst es nie wieder wagen, mir in einem solchen Aufzug unter
die Augen zu treten. Oder muss ich dir erst zeigen, was ich von
einer solchen Nachlässigkeit halte?"
"Verzeihung, Sir Leonard. Es wird nicht mehr vorkommen."
Leonard stand noch immer regungslos.
"Setz dich, ich habe dir noch mehr zu sagen."
Ernesto sah jetzt aus wie ein kleiner Junge, der sich beim
Direktor einen Schulverweis abholen musste. Er wirkte unsicher
und verloren, genau das Gegenteil von vor einer Stunde.
"Ich mache mir Sorgen um dich. Du machst Fehler. Große Fehler,
und das immer öfter. Die Öffentlichkeit ist auf dich aufmerksam
geworden, und damit meine ich nicht nur die Blutspritzer auf
deinem Hemd."
Ernestos Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck.
"Aber Sir Leonard, ich kann doch nicht wirklich alles bei meiner
Sklavin durchgehen lassen, und bis jetzt hat sich noch niemand
Gedanken darüber gemacht in meinem Umfeld."
Ohne Vorwarnung drehte sich Leonard um und schlug hart mit dem
Stock auf den Tisch. Ernesto fuhr erschrocken zusammen.
"Nein? Niemand? Und was war das heute im Hotel? Zimmernachbarn
beschweren sich, ein gewisser Kingston, der sich um deine
Sklavin kümmern muss und zu guter Letzt einen Arzt gerufen hat
und mit ihr auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Das nennst du
nichts? Ist dir überhaupt klar, dass du die ganze Organisation
in Gefahr bringst?"
Leonards Gesicht blieb ausdruckslos, nur seine Augen funkelten
den Mann in dem Sessel an.
"Wie...? ...ein Arzt? Krankenhaus? Davon weiß ich nichts."
Ernesto war bleich geworden, ihm wurde klar, dass er über die
Stränge geschlagen hatte.
"Ich werde es in Ordnung bringen, sobald ich zurück bin. Niemand
wird..."
Weiter kam er nicht. Leonard hatte den Stock vom Tisch genommen
und drückte das Ende auf Ernestos Kehlkopf. Er wurde in den
Sessel gedrückt und bekam nur noch spärlich Luft. Wut stand in
Leonards Gesicht und die Narbe, die auf der rechten Seite von
der Schläfe bis fast zum Kinn lief, glühte leicht rot. Seine
grauen Augen schauten ihn kalt an, kleine Blitze explodierten in
ihnen.
"Nichts wirst du! Deine mangelnde Selbstbeherrschung hat schon
genug angerichtet. Wenn mein Vater dir nicht sein Wort gegeben
hätte, würdest du schon lange ohne deine Sklavin und dein großes
Anwesen dastehen. Aber so bindet mich das Wort meines Vaters.
Doch auch der Rat wird sich dein Verhalten nicht mehr lange mit
ansehen. Noch so ein Fehler und ich garantiere dir, dass du
selbst das Grab schaufelst, in dem ich dich verscharren werde."
Ernesto gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Er schluckte
schwer, denn er wusste, dass dies keine leere Drohung war. Er
hasste diesen jungen Schnösel, vor allem seine Augen. Leonard
hatte die gleichen Augen wie seine Mutter, die ihn damals
verschmäht hatte. Er sah den Stock, der noch immer gegen seinen
Hals drückte, der Zwilling zu seinem eigenen Stock, nur war
dieser hier mit Saphiren besetzt. Eine unbändige Wut machte sich
in ihm breit und er zwang sich zur Ruhe. Das war besser für ihn
in dieser Situation. Trotzdem schien Leonard seine Gedanken zu
ahnen, denn der Druck des Stockes erhöhte sich.
"Ich warne dich, Ernesto. Keine Fehler mehr! Halte dich unter
Kontrolle! Niemand in der Organisation duldet Schwachpunkte, und
du bist einer. Leg dich nicht mit den falschen Leuten an, das
haben schon andere versucht. Um diesen Kingston werde ich mich
kümmern, wenn es sein muss. Du wirst deine Energie in deinen
neuen Auftrag stecken. Ein wichtiger Kunde will ein arabisches
Mädchen. Du wirst sie besorgen. Es ist deine letzte Chance, dein
Leben hängt davon ab. Also versage nicht!"
Leonard nahm den Stock von Ernestos Hals und drehte sich wieder
zum Fenster um.
" Es ist nicht irgendein Mädchen, sondern die zukünftige neunte
Frau des Scheichs Omar Khaled ibn Abdulaziz in Dhahran. Unser
Kunde ist verrückt nach ihr. Alles Weitere erfährst du aus der
Akte auf dem Tisch. Schau sie dir auf dem Rückflug gut an, der
Pilot wird sie mir wieder mit zurückbringen. Geh jetzt, ich habe
genug von dir."
Ernesto erhob sich, ein leichtes Schwindelgefühl in seinem Kopf.
"Bis bald, Sir Leonard."
Er verbeugte sich kurz und ging dann betont langsam zur Türe.
Doch als er sie hinter sich geschlossen hatte, eilte er aus dem
Haus, als ob der Leibhaftige hinter ihm her wäre. Er bemerkte
nicht das Grinsen des Butlers in seinem Rücken.
Im Hubschrauber schlug er die Akte auf, und das bezaubernde
Gesicht eines sehr jungen Mädchens schaute ihm entgegen. Karima
hieß die Kleine, und in zwei Wochen sollte ihre Hochzeit sein.
Ihm blieb nicht viel Zeit für sein Vorhaben. Er studierte sehr
genau den Zeitplan und seine Kontaktpersonen. Ohne Hilfe hätte
er keine Chance. Er war fast durch, als der Hubschrauber
landete. Beim Aussteigen hielt er die Akte in der Hand. Der
Pilot packte ihn am Kragen und streckte ihm wortlos die Hand
entgegen. Widerwillig gab ihm Ernesto die Akte und machte sich
auf den Weg ins Hotel.
Leonard hatte Recht behalten, er fand das Zimmer leer vor. Er
packte ein paar Sachen ein und buchte den nächsten Flug. Das
Zimmer bezahlte er im Voraus und spielte mit dem Gedanken,
vorher noch bei Luisa vorbeizusehen. Schnell verwarf er den
Gedanken wieder. Kingston würde bei ihr sein. Einen Wutanfall
konnte er sich wirklich nicht leisten. Also fuhr er ohne Umwege
zum Flughafen und stieg in die nächste Maschine.
Besuch bei Omar
III
Steve war dem Krankenwagen ins Hospital gefolgt. Luisa wurde
sofort an einige Geräte angeschlossen und ruhiggestellt, damit
sie sich nicht selbst verletzte. Nach einer gründlichen
Untersuchung bestätigte der Oberarzt das erste
Untersuchungsergebnis. Luisa verbrachte zwei Tage ohne
Bewusstsein, immer wieder geschüttelt von schlimmen Alpträumen.
Steve verbrachte Tag und Nacht an ihrem Bett. Wenn sie weinte,
redete und schrie in ihren Träumen, legte er ihr die Hand auf
die Stirn und sprach leise zu ihr. Luisa beruhigte sich dann
sofort wieder. Am dritten Tag war ihr Fieber gesunken, und sie
kam zu sich, als die Sonnenstrahlen ihr Gesicht trafen. Sie
blinzelte und brauchte ein paar Minuten, bis sie etwas erkennen
konnte. Steve saß an ihrem Bett, er war eingeschlafen. Luisa
betrachtete ihn lange, sie spürte eine Wärme bei seinem Anblick.
Ein kleines Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Vorsichtig
fasste sie seine Hand. Er öffnete verstört die Augen, dann
lächelte auch er.
"Du bist ja endlich wach, das wurde aber auch Zeit."
"Was machst du hier? Wie lange hab ich geschlafen?"
Es war mehr ein Flüstern, was sie zustande brachte.
"Ich passe auf dich auf. Du warst zwei Tage ohne Bewusstsein."
Sie schaute sich um. "Wo bin ich eigentlich? Wenn Ernesto..."
Steve unterbrach sie. "Du bist im Krankenhaus, und um Ernesto
mach dir keine Sorgen, er ist fortgefahren."
Sie schaute ihn erstaunt an. "Ich kann mich nur noch daran
erinnern, dass ich dir die Türe geöffnet habe. Von da an weiß
ich nichts mehr. Er ist weg? Wohin?"
Steve lachte auf. "Das hat er mir nicht auf die Nase gebunden.
Denk nicht darüber nach und erhole dich erst einmal."
"Ja, du hast sicher Recht."
Aber schon bei diesen Worten fielen ihr die Augen zu. Steve
beobachtete ihren Schlaf noch für einen Moment und verließ dann
das Zimmer. Draußen redete er kurz mit der Schwester und ging.
Eine Berührung an ihrem Handgelenk weckte Luisa, sie blinzelte.
"Steve?"
Aber dann erkannte sie, dass es nur eine Schwester war, die sie
freundlich anlächelte.
"Er ist bald wieder zurück. Er wollte sich nur im Hotel etwas
frisch machen. Nach den langen Tagen und Nächten, wo er ständig
an Ihrem Bett saß, möchte er Ihnen einen schönen Anblick
bieten."
Sie zwinkerte Luisa zu und ließ sie nachdenklich zurück. Die
Zeit wollte nicht vergehen, während sie auf Steves Rückkehr
wartete.
An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, die Gedanken ließen
ihr keine Ruhe dazu. Sie wurde fast wahnsinnig durch die
Warterei, und als sie fast schon im Begriff war, aufzustehen,
öffnete sich die Türe. Sie sah Steve an. In seinen verwaschenen
Jeans sah er aus wie ein Rebell. Und doch spürte sie seine
Dominanz, die ihn wie eine Aura umgab. Er trat lächelnd auf ihr
Bett zu und nahm sie einfach in den Arm. Sie konnte sein
Rasierwasser riechen und die frisch rasierte Haut auf ihrer
Wange spüren.
"Warum warst du die ganze Zeit hier?", fragte sie ihn leise.
"Weil mir sehr viel an dir liegt. Ich mag dich sehr."
Er küsste sie sanft auf die Lippen.
"Es geht nicht." Sie zog ihren Kopf zurück.
"Ich werde es mit Ernesto regeln, sobald er zurück ist. Er wird
dich freigeben, das verspreche ich dir."
"Versprich mir bitte nichts, was du nicht halten kannst. Er wird
mich nicht freigeben, niemals."
"Wir werden ja sehen."
Steve sah ihr tief in die Augen, er konnte ihre Besorgnis sehen.
"Aber ich muss dir noch etwas sagen. Ich muss für eine Zeitlang
fort, wegen Geschäften im Ausland. Aber ich fahre nicht gerne
weg und lasse dich hier zurück."
"Mach dir keine Sorgen, ich bin schon groß." Sie lächelte ihn
an. "Und was soll mir hier im Krankenhaus schon passieren?"
"Aber du versprichst mir, dass du hier bleibst, bis du ganz
gesund bist?"
"Ja, das werde ich. Ich verspreche es."
"Gut, ich werde dann jetzt alles in die Wege leiten, damit ich
auch schnell wieder hier bin."
Steve lächelte sie an und ging zur Türe hinaus. Er sah nicht die
kleine Träne, die ihr Gesicht hinunter lief. Sie fühlte sich so
elend. Sie hatte ihn mit reiner Absicht belogen. Es tat ihr weh,
aber sie sah keinen anderen Ausweg.
Steve tätigte ein paar Telefonate, seine Abreise war schnell
organisiert. Er checkte im Hotel aus, und auf dem Weg zum
Flugplatz verabschiedete er sich noch schnell bei Luisa. Er
hatte nicht die Zeit, sich lange aufzuhalten, denn sein Pilot
wartete. Bis zu dem kleinen Jet konnte er direkt vorfahren. Er
war es gewohnt, eine Sonderbehandlung zu genießen. Ein Stewart
nahm sein Gepäck, und der Pilot begrüßte ihn mit Handschlag.
"Schön, Sie zu sehen, Mr. Kingston." Der Pilot verbeugte sich
leicht.
"Danke, mein Freund. Ich hoffe, der Flug verläuft ohne
Probleme!"
"Wir können sofort starten."
Sie nahmen Platz in dem Jet, die Türen schlossen sich hinter
ihnen. Steve machte es sich bequem, was kein Problem darstellte.
Bis auf den Stewart und die Piloten war er alleine an Board.
Seine Gedanken waren bei dieser - so einzigartigen - Frau im
Krankenhaus, aber selbst das hinderte seine Augen nicht daran,
sich zu schließen. Der Stewart weckte ihn kurz vor der Landung.
Er sah zum Fenster hinaus und war wie immer überwältigt von der
Weite des Landes und der Wüste. Wie abgeschnitten änderte sich
plötzlich die Landschaft, und eine Oase aus sattem Grün blendete
ihn. Er liebte diesen Landeanflug; die Häuser, strahlend weiß,
flogen an ihm vorbei und das Blau des Persischen Golfs ließ den
Gedanken an eine Fata Morgana aufkommen. Er staunte jedes Mal,
wie weit sich diese Stadt ausbreitete. Sie landeten auf dem King
Fahd Airport. Als er nach draußen trat, hielt er kurz inne und
atmete tief ein. Die Hitze ergriff ihn sofort, Schweißperlen
bildeten sich auf seiner Stirn. Er konnte das Salz in der Luft
schmecken. Er ging die Stufen hinunter zu der schwarzen
Limousine. Der Chauffeur öffnete die hintere Türe, und ein
fröhlich lachender Mann stieg aus. Die zwei Männer umarmten sich
herzlich.
"Salam aleikum, mein Freund."
"Aleikum salam. Schön, wieder einmal bei dir zu sein. Es ist ja
schon fast meine zweite Heimat."
Sie lachten beide und klopften sich immer wieder auf den Rücken.
"Komm, lass uns einsteigen, mein Freund. Meine ganze Familie
erwartet sehnlichst deine Ankunft."
"Deine Söhne können es wieder nicht abwarten, mich beim
Basketball zu schlagen."
Sie lachten und scherzten auf der kurzen Fahrt, und schon sehr
bald erreichten sie einen kleinen Palast. Der Empfang war wieder
einmal überwältigend, die ganze Familie begrüßte ihn. Sie hatten
ein wahres Festmahl aufgetragen, viele verschiedene
Köstlichkeiten. Einige von ihnen konnte Steve noch nicht einmal
benennen. Sie lachten und scherzten, auch Omars acht Frauen
nahmen an diesem Fest teil. Wenn sie allerdings zu lautstark im
Hintergrund lachten, schaute sie Omar nur kurz streng an und
schon kehrte Ruhe ein. Steve lächelte innerlich, er hatte soviel
von Dominanz an sich, obwohl Omar mit SM doch nichts am Hut
hatte. Nachdem Steve alle begrüßt hatte, suchte er das Gespräch
mit seinem Gastgeber und Freund.
"Es ist verrückt, wie sehr ihr euch immer freut, wenn ich hier
bin."
"Steve, du bist mehr als nur ein Freund und Geschäftspartner. Du
gehörst zur Familie, bist wie ein Bruder für mich. Aber du
siehst aus, als ob du Sorgen hättest."
"Auch du bist mehr als das für mich. Es macht mich stolz, dass
du mich als deinen Bruder siehst. Omar, es geht mir gut, bis auf
die Frau, die in meinem Kopf rumspukt. Ich werde nachher
versuchen, sie anzurufen. Aber nun zu dir. Bist du schon
aufgeregt wegen deiner neunten Hochzeit? Wann lerne ich deine
Braut kennen?"
"Bald, mein Bruder. Aber sprich, ka'if halak ? Ich mache mir
Sorgen um dich."
"Es geht mir gut, wie du siehst, Leib und Seele sind im
Gleichklang."
"Ich höre, was du sagst, aber meine Augen sehen etwas anderes.
Ist es diese Frau wert, dass dein Kopf so arbeitet?"
"Ja, sie ist es wert. Aber es wird auch nicht einfach, sie ins
Leben zurückzuführen."
Sie redeten und feierten noch bis tief in die Nacht. Erst als
alle sich verabschiedet hatten, versuchte Steve im Krankenhaus
anzurufen. Es dauerte etwas, bis jemand den Hörer abnahm.
"Ich hätte gerne Luisa Baker gesprochen, hier ist Steve
Kingston... - Wie, sie ist nicht da? Aber Sie konnten sie doch
nicht einfach gehen lassen? Haben Sie eine Adresse oder eine
Telefonnummer, unter der ich sie erreichen kann? --- Danke, da
kann man nichts machen."
Steve legte auf. Sehr viele Emotionen waren in seinem Gesicht zu
lesen. Er versuchte noch, sie im Hotel zu erreichen, aber auch
dort war sie nicht. Eisige Kälte machte sich in ihm breit. Er
ging hinaus auf die Terrasse und schaute in den Sternenhimmel.
Ihm war sehr nach Schreien zumute, aber er konnte sich
beherrschen.
"Verzeiht, Herr, darf ich mit Euch den Nachthimmel teilen? Auch
ich kann keine Ruhe finden."
Steve zuckte zusammen und versuchte, die dunkle Ecke zu
durchdringen, aus der die Stimme kam. Aber er konnte nichts
erkennen.
"Ja natürlich, der Himmel mit seinen Sternen ist für alle da."
"Ich danke Euch."
Steve konnte kurz das zarte Gesicht eines ganz jungen Mädchens
erkennen. Er lächelte sie an. "Du musst Karima sein?"
"Ja Sir, das bin ich."
"Ich habe schon sehr viel von dir gehört. Natürlich darfst du
mir etwas Gesellschaft leisten."
Sie schauten beide in den mit Sternen gefüllten Himmel.
Sternschnuppen flogen unregelmäßig in weitem Bogen, bis sie
wieder verschwanden.
"Bedrückt Euch etwas, Sir?"
"Nein Kleines, nichts, was dich belasten sollte. Freu du dich
auf deine Hochzeit. Du bekommst einen ganz großartigen Mann."
"Ja Sir, er ist ein eindrucksvoller Mann. Ich werde ihm eine
gute Frau sein."
"Ich bin mir sicher, dass du das sein wirst. Es ist Zeit, ins
Bett zu gehen."
Steve lächelte Karima an und zog sich zurück. Viel Schlaf bekam
er nicht, das Treiben im Haus holte ihn frühzeitig aus der
Nachtruhe.
IV
In den nächsten Tagen arbeitete er als Berater bei Omars
Ölgeschäften. Er vertiefte sich sehr in die Geschäfte, sodass
die Gedanken an Luisa erst einmal in weite Ferne rückten. Abends
traf er immer auf Karima und wunderte sich, wie tiefsinnig die
Gespräche wurden, die er mit diesem noch so jungen Mädchen
führte. Die Tage vergingen, und der größte Teil der Geschäfte
war abgeschlossen, als Karima ihn abends fragte, ob er sie am
nächsten Tag auf den Markt begleiten würde. Sie wollte für Omar
ein Hochzeitsgeschenk besorgen. Steve war überrascht, stimmte
aber zu, denn auch er wollte nicht mit leeren Händen dort
stehen.
Sie fuhren mit zwei Limousinen, vorbei an der Universität und am
US- Generalkonsulat. Am Anfang waren die Straßen noch relativ
großzügig ausgebaut, aber je weiter sie in den Stadtkern kamen,
wurden auch die Straßen schlechter und enger. Karima saß mit
ihrer Anstandsdame im Fond des vorderen Wagens. Steve hatte sich
nach vorne gesetzt, damit keine Missverständnisse aufkommen
konnten. In diesem Land war es sehr gefährlich, der Frau oder
der Braut eines anderen zu nahe zu kommen. Im zweiten Wagen
saßen noch zwei Leibwächter zum Schutz der Familie, obwohl Omar
in Dhahran keine Feinde hatte. Aber die Sicherheit der Familie
ging vor. Kurz vor Thuqbah parkten sie an den Straßen, nahe dem
Markt. Bis auf den Fahrer tauchten sie schnell im Menschengewühl
unter. Durch die Enge der Straße und das hohe Menschenaufkommen
war es nicht einfach, voranzukommen. Ein ständiges Stimmengewirr
um sie herum und ein fortwährendes Angestosse, nichts für
Menschen, die Berührungsängste oder Platzangst hatten. Die
Leibwächter begleiteten die Damen und folgten ihnen unmittelbar.
Aber auch Steve behielt die kleine Gruppe im Auge, was nicht
einfach war.
Die Stände ergaben ein sehr buntes Bild, es gab dort nichts, was
es nicht zu kaufen gab. Die unterschiedlichsten Gerüche
berauschten Steve und ließen ihn an einen Traum glauben. Alles
schien so unwirklich. An einem Stand wurde er kurz abgelenkt.
Ein Spiegel erregte seine
Aufmerksamkeit. Er war nicht größer als seine Handfläche und in
Gold eingefasst. Doch das Schöne an ihm waren die zarten
Gravuren auf der Rückseite. Er konnte nicht anders und kaufte
ihn, nachdem er heftig mit dem Händler gefeilscht hatte. Steve
sah sich um und bemerkte, dass seine kleine Gruppe verschwunden
war. Er ging zügig durch die
Menschenmassen, und seine Augen suchten angestrengt. So weit
konnten sie doch noch nicht sein. Er wurde unruhig. Dann sah er
in einer Nebengasse plötzlich zwei Körper liegen. Er rannte zu
ihnen, es waren die Leibwächter. Ihre Kehlen waren
durchgeschnitten. Sofort kehrte er zur Straße zurück, jede
Minute war jetzt kostbar. Er sah sich suchend um, sie konnten
nur in eine Richtung verschwunden sein. Er rannte nun, was bei
dem Betrieb gar nicht so einfach war. Einige Menschen sahen ihn
verdutzt oder ärgerlich an, weil er sie in seiner Hast
anrempelte. Mag sein, dass es Zufall war, dass er plötzlich aus
den Augenwinkeln sah, wie jemand hektisch in einen Laden gezogen
wurde. Er stoppte abrupt und rannte in den Laden. Niemand war zu
sehen, er lief an verschiedenen Teppichen vorbei, bis er die
Hintertür fand. Als er hinaustrat, sah er das Auto und wie
gerade zwei Männer die Damen im Kofferraum verstauten.
"Stopp!", brüllte er und ging auf das Auto zu.
"Das würde ich an Ihrer Stelle sein lassen!"
Steve stockte. Verdammt, er kannte diese Stimme. Langsam drehte
er sich um, und tatsächlich: Er sah in das teuflisch grinsende
Gesicht von Ernesto.
"So sieht man sich wieder, Mr. Kingston. Leider ist das
Vergnügen nur von kurzer Dauer."
Steve wollte etwas entgegnen, als er eine Bewegung hinter seinem
Rücken wahrnahm. Er drehte den Kopf, doch es war schon zu spät
und der Schlag traf ihn. Benommen sackte er zu Boden. Er konnte
nicht verhindern, dass sie ins Auto stiegen, und aus weiter
Ferne hörte er dumpf Ernestos Stimme.
"Schade, dass ich gerade nicht mehr Zeit für Sie habe. Es wäre
da noch etwas zu klären gewesen, aber auch dieser Tag wird
kommen."
Lachend schlug er die Autotüre zu. Steve hockte immer noch
benommen auf dem Boden. Er versuchte, wieder klar zu werden. Der
Schlag hatte ihn aufgrund seiner Bewegung nicht richtig
getroffen. Sie durften nicht entkommen. Er konzentrierte sich.
Verdammt, er hatte doch das Handy in der Tasche! Warum war er
nicht schon früher darauf gekommen? Er wählte die Nummer der
Limousine. Drei Minuten später bog der Wagen schon in die Straße
ein. Schwankend stieg er ein und erklärte dem Fahrer die
Situation. Der wurde bleich im Gesicht und gab sofort Gas. Steve
fasste sich ein Herz und rief endlich Omar an. Die Minuten, bis
er abhob, schienen endlos zu sein. Er fasste sich so kurz wie
möglich, als er Omar die Situation klarmachte. Dieser war erst
stumm und brüllte dann fassungslos seine Anweisungen durchs
Haus.
"Ich werde sofort alle Straßen dichtmachen lassen, vielleicht
bekommen wir sie noch, ehe sie die Stadt verlassen. Versucht sie
zu finden, ihr seit im Moment noch am nächsten dran."
"Natürlich suchen wir sie, so weit können sie noch nicht weg
sein und so viele Möglichkeiten gibt es nicht, um die Stadt zu
verlassen."
Omar murmelte noch etwas, was Steve nicht verstand, und legte
auf. Er jagte mit dem Fahrer durch Dhahran und versuchte sie
aufzuspüren. Nach kurzer Überlegung kam er zu der Ansicht, dass
die einzige Fluchtmöglichkeit für Ernesto jetzt nur noch das
Wasser war. Sie suchten das Ufer ab, und tatsächlich fanden sie
das Auto dort, sie konnten das Boot sogar noch erkennen. Steve
war wieder soweit fit und sprang in das nächste schnelle Boot,
das er finden konnte. Die wilden Flüche und Verwünschungen des
Bootsbesitzers kümmerten ihn nicht. Er musste sich sputen; bis
Kuwait und zur Dreimeilenzone war es nicht weit. Er hatte Glück,
das Boot war wesentlich schneller als das von Ernesto und seinen
Kumpanen. Das Boot schlug immer wieder heftig auf die
Wasseroberfläche, und Steve musste aufpassen, dass er nicht von
den Füßen geholt wurde. Er kniff die Augen zusammen, die Sonne
spiegelte sich vor ihm auf dem Wasser und er fluchte insgeheim,
dass er seine Sonnenbrille nicht trug.
Er holte sehr schnell auf und war bald neben ihnen. Das Boot
sprang unruhig über die Bugwellen des anderen Bootes. Er war
nicht unbemerkt geblieben, und plötzlich sah er in die Mündung
eines Gewehrs. Damit hatte er nicht gerechnet. Er nahm sofort
Gas weg, doch da krachte auch schon der Schuss. Steve spürte
einen Schlag, und dann ging alles sehr schnell. Er verlor das
Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Ein
stechender, brennender Schmerz in seiner Schulter. Ihm wurde
schwarz vor Augen.
Steve kam zu Bewusstsein, als er würgen und husten musste, er
spuckte Wasser. Durch die plötzliche Bewegung jagte ihm wieder
der Schmerz durch die Schulter. Er fluchte laut.
"Kaum wieder unter den Lebenden und schon wieder beim Fluchen."
Steve wurde klar, dass er sich auf einem Boot befand und nicht
allein war. Er sah auf und sah das lächelnde Gesicht von Khaled,
Omars ältestem Sohn. Nun musste auch Steve kurz grinsen, dann
schaute er sich um.
"Sind sie weg?"
Khaled wurde wieder ernst. "Ja, Richtung Kuwait. Aber wir
wissen, wo sie sind und was sie tun. Mein Vater hat auch dort
Freunde und diese schon informiert."
Das Boot legte an und Khaled half Steve beim Aussteigen. Er
brachte Steve ins Krankenhaus, wo seine Wunde behandelt wurde.
Sie hatten schon auf ihn gewartet, die Versorgung verlief sehr
schnell, und Steve bekam nur eine leichte Narkose. Die Kugel
hatte sein Schlüsselbein nur leicht gestreift, ein glatter
Durchschuss. Etwas später waren sie schon bei Omar. So etwas
ging auch nur in dieser Geschwindigkeit, wenn im Hintergrund
jemand saß, der die richtigen Leute kannte und genug Einfluss
besaß. Das war etwas, was Steve schon häufiger bei seinen
Besuchen dort beeindruckt hatte, ein gut funktionierendes
Nachrichtensystem. - Er saß noch nicht ganz, als er seine
Neugierde nicht mehr unter Kontrolle halten konnte.
"Gibt es schon etwas Neues? Hast du schon Bescheid bekommen?"
"Steve, das ist nicht so wichtig. Du bist verletzt und damit aus
dem Spiel. Sie sind in Kuwait an Land gegangen und mit einem
Privatjet nach Kanada geflogen."
"Dann müssen wir hinterher, solange die Spur noch warm ist."
"Nein, Steve. Heute nicht mehr. Du musst dich schonen, sonst
bricht deine Wunde wieder auf. Morgen vielleicht."
Steve wollte noch etwas darauf erwidern, aber ein Blick in Omars
Augen reichte, dass er darauf verzichtete. Er zog sich zurück,
denn er spürte erneut die Müdigkeit. In seinem Zimmer fiel ihm
plötzlich wieder der Spiegel ein, den er gekauft hatte. Wo war
er nur abgeblieben? Er dachte kurz nach und wollte schon sein
Zimmer wieder verlassen, als er ihn auf dem kleinen
Mahagonischrank liegen sah. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Er
wusste selbst nicht, warum er so an diesem Spiegel hing. Wer
wusste, ob er Luisa jemals wiedersehen würde.
An Schlaf war nicht zu denken, seine Schulter schmerzte und in
seinem Kopf arbeitete es ohne Unterlass. Schließlich stand er
wieder auf und ging nach draußen auf die Terrasse. Es war längst
spät in der Nacht und die Luft hatte sich abgekühlt. Er atmete
tief ein, die Luft war so klar, jede Pore von ihm atmete mit.
"Du kannst nicht schlafen?"
Steve drehte den Kopf. Omar stand nicht weit links von ihm, an
eine Säule gelehnt.
"Nein, mehr als etwas dösen ist nicht drin. Meine Schulter
schmerzt und meine Gedanken überschlagen sich."
"Mach dir keine Gedanken, ich werde Karima finden. Deine Wunde
sollte erst einmal verheilen."
"Omar, ich kann nicht. Ich kenne den Mann, der Karima entführt
hat. Wir hatten noch eine Rechnung offen, aber jetzt ist es sehr
persönlich geworden. Ich will und ich werde ihn finden."
"In deiner Stimme spricht der Hass, und das ist kein guter
Ratgeber. Aber ich merke, dass ich dich nicht aufhalten kann.
Ich lasse dich aber nur gehen, wenn du wenigstens Khaled
mitnimmst. Du wirst Hilfe brauchen und ich kann hier nicht weg."
Steve überlegte einen Moment.
"Ich möchte nicht die Verantwortung für Khaled übernehmen.
Immerhin ist er dein ältester Sohn."
Omar lächelte. "Er ist alt genug, um auf sich aufzupassen und du
kannst ihm vertrauen."
"Okay, ich bin einverstanden. Ich hab ja auch keine andere Wahl.
Wir werden morgen fliegen. Gute Nacht."
Steve machte einen zweiten Anlauf und legte sich vorsichtig ins
Bett, diesmal konnte er tatsächlich etwas schlafen.
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