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Wahre Fluten ließ der Himmel an diesem Novembertag herabstürzen.
Schon am Morgen goss es wie aus Kübeln und den ganzen Tag wurde
es nicht richtig hell. Jetzt dämmerte es bereits wieder. Die
wenigen Menschen in der Stadt suchten Schutz in Kaufhäusern,
oder eilten weit vorn übergebeugt, die Schirme oder Kapuzen
festhaltend von einem trockenen Platz zum nächsten.
Dass in wenigen Tagen der Advent begann und damit auch die
weihnachtliche Stimmung Einzug halten sollte, konnte er beim
besten Willen nicht glauben. Halb durchnässt erreichte er den
Bus, der ihn nach Hause bringen würde. Dann noch ein paar
Hundert Meter und er käme endlich in seiner warmen und auch
trockenen Wohnung an.
An den paar Stationen stiegen nicht viele Menschen ein und aus.
Doch jedes Gesicht sprach Bände ob des Wetters. Dabei waren ja
die Hamburger eigentlich mit jedem Wasser gewaschen und
kümmerten sich wenig um das Schmuddelwetter. Was jedoch seit
Tagen über Hamburg hing wie eine Glocke, brachte selbst den
eingefleischtesten Hanseaten an die Grenzen des Erträglichen. Es
schüttete seit fast einer Woche ohne Unterbrechung.
Endlich hatte er seinen rettenden Hafen erreicht. Triefend und
tropfend leerte er noch den Briefkasten und verschwand hinter
der Tür, die diesen Aufruhr der Elemente draußen ließ. Schnell
zog er die Schuhe im Flur aus und hastete auf Zehenspitzen in
großen Sätzen ins Bad. Während er die Wanne volllaufen ließ, zog
er sich aus. Nur noch in ein heißes und wohlig duftendes
Schaumbad wollte er eintauchen. Es würde ihn für eine halbe
Stunde entführen und seine halbsteifen Glieder wieder auftauen.
Entspannt streckte er sich aus. Was für ein wunderbares Gefühl.
Wärme.
Vorhin hatte er nur kurz die Umschläge durchgesehen, wer ihm
alles geschrieben hatte. Werbung von verschiedenen
Versicherungen war dabei. Der 30. November galt als Stichtag, um
die Autoversicherung zu wechseln. Doch er hatte schon seit zwei
Jahren keinen Wagen mehr. Wozu auch? Wo er hinmusste, fuhr die
Bahn oder der öffentliche Nahverkehr. Im Notfall tat es auch mal
eine Taxe. Ein Brief vom notariellen Nachlassverwalter seiner
Tante. Sie verstarb von acht Wochen und hatte ihn im Testament
bedacht. Er wusste, was darin stand, noch zu Lebzeiten hatte sie
ihn informiert. Und ein Brief von seiner Schwester aus
Australien.
Ja, Down Under. Da müsste man jetzt sein. Dort begann in diesen
Tagen der Sommer.
Vor drei Jahren stattete er seiner Schwester einen Besuch ab.
Damals hatte er lange gespart für den Flug. Vor ihm lagen fünf
Wochen, von denen er noch heute manchmal zehrte, wenn die
Erinnerungen an diese tatsächlich unvergessene Zeit auflebten.
Allein die Reise. Über 30 Stunden mit dem Flugzeug; erst von
Hamburg nach Frankfurt/Main und von dort mit Zwischenstopp in
Bombay bis nach Sydney. Doch auch hier musste er nochmals
umsteigen. Ein Inlandsflug brachte ihn seinem nächsten
Zwischenziel, Townsville in Queensland, nur wieder näher der
Schwester. Bis zu ihr würde es bestimmt noch einmal 6 Stunden
dauern.
Als er dort landete und endlich auch sein Gepäck wiederhatte,
suchte er die Menge ab. Seine Schwester wollte ihn abholen. Dann
ragte ein großes weißes Schild mit schwarzen Lettern aus der
Menge der Köpfe empor. "Mr. Thomas Winter" stand darauf.
Zielstrebig nahm er Kurs auf das Schild. Angewurzelt blieb er
vor einem Mädchen stehen. "I'm Mister Thomas Winter", sagte er
etwas unsicher.
"Und ich bin Isabella", stellte sie sich ihm vor, "deine Nichte.
Herzlich willkommen in Australien", reichte sie ihm ihre freie
Hand.
Thomas stellte die Tasche auf den Boden und griff vorsichtig
danach. Ein fester Händedruck ließ ihn erneut erstaunen. "Danke,
Isabella. Und wo ist Jane?", wollte er wissen.
"Zu Hause. Sie bereitet noch ein paar Sachen vor. Unser Tag war
leider etwas chaotisch. Ich hole Dich ab", sagte sie so
überzeugend, als wäre es die normalste Sache der Welt, dass ein
15 jähriges Mädchen auf einem Flughafen, über 1.000 Kilometer
von zu Hause entfernt, ihren Onkel abholt. Er musste sich noch
von diesem Schock erholen, während sie schon weiter fragte:
"Sind das alle Sachen?"
"Ja ... äh ... ja, das ist alles. Aber wie kommen wir weiter?"
"Na genau so, wie ich hierher gekommen bin. Wir fliegen."
"Ah ja. Und warum fliegst du hierher um mich abzuholen, wenn ich
auch bis nach Weipa hätte fliegen können?"
"Weil es keinen Linienflug um diese Zeit mehr gibt. Also komm.
Ich bin noch nie in völliger Dunkelheit gelandet. Wir brauchen
mindestens noch dreieinhalb Stunden. Ich ..."
"Halt mal. Ganz ruhig. Das bedeutet, DU fliegst MICH?"
"Ja. Und nun mach hinne. In vier Stunden geht das Licht aus."
Thomas starrte das Wesen vor ihm an, als wäre es von einem
anderen Planeten oder auch einer völlig fremden Galaxie. "Das
glaub ich jetzt nicht", stammelte er fassungslos.
"Wenn du hier nicht übernachten willst, musst du das aber
glauben. So. Und nun nimm deine Sachen." Isabella griff zur
abgestellten Tasche und ging einfach los.
"Warte! Ich komm ja schon!" Ihm war mehr als mulmig zumute. Doch
es gab wohl keine andere Möglichkeit.
Am Flugzeug angekommen, verstaute sie flink das Gepäck und
machte ihren Rundgang. Hier und da griff sie beherzt zu, prüfte
Höhen- und Seiten- sowie Querruder und inspizierte Propeller und
Fahrwerk. Thomas folgte ihr neugierig dicht auf den Fersen. "Du
kannst einsteigen. Da vorn auf die Tragfläche treten und dann
rein mit dir", deutete sie auf die Stelle.
Er kletterte unbeholfen in die Kabine und plumpste ebenso
ungeschickt in den Sitz.
Isabella saß wenig später neben ihm. "Setz den Kopfhörer auf.
Ich mach noch den technischen Check, dann melde ich unseren Flug
dem Tower."
Sie war so entspannt und professionell, dass Thomas zur gesamten
Situation langsam Vertrauen gewann. Gespannt verfolgte er
allerdings jeden Handgriff. Seine Neugierde besiegte mehr und
mehr die anfängliche Skepsis. Er fügte sich teils in sein
Schicksal, wartete aber auch voller Aufregung darauf, was nun
alles noch kommen würde. Über seinen Kopfhörer bekam er den
Sprechfunk mit. Als Isabella aber den Motor startete, überfiel
ihn ein flaues Gefühl.
"Na? Angst?", griente sie schelmisch. "So weit ich informiert
bin, hast du schon mit 10 Jahren allein die großen Maschinen auf
dem Hof bewegt. Mit 12 hast du das erste Mal einen Maishäcksler
während der Ernte gefahren. Wohlgemerkt allein. Und alle haben
dir vertraut, dass du keinen Blödsinn machst."
"Ja, ja. Aber das hat sich alles AUF der Erde abgespielt. Hier
..."
"Wir fahren jetzt Trecker", unterbrach sie ihn keck und hatte
wieder dieses schelmisch süße Grinsen im Gesicht. "Der hat zwar
Flügel und kann fliegen, aber ich bin diesen Vogel mit neun das
erste Mal allein geflogen. Start und Landung inklusive. Mein
Flugbuch weist über 12.000 Flugstunden mit dieser Maschine aus.
Noch Fragen?"
Thomas blieb stumm. Vom Tower erhielten sie die Starterlaubnis
und nur wenige Minuten später hoben sie ab. Er wunderte sich,
dass nicht einmal von dort Anmerkungen kamen. Ihre Stimme
verriet sie eindeutig als Kind.
"So. Was willst du wissen?", lehnte Isabella sich entspannt
zurück und ließ den Steuerknüppel los.
"Bist du wahnsinnig?", schrie er entsetzt.
"Entspann dich. Bitte. Wir fliegen hier in einer Cessna 400 TT
mit Autopilot und noch ein paar Annehmlichkeiten. Ich könnte
jetzt sogar Kaffee kochen und das Ding würde stur den Kurs
halten. Da du dir aber gerade die Hose nass machst, bleib ich
hier sitzen."
Er war verwundert, mit welch derber Sprache sie ihn zurechtwies.
Das ging sicherlich auch freundlicher. Thomas nahm sich vor,
Jane darauf hinzuweisen.
Sie sah ihn nur eben an und meinte keck: "Da du keine Fragen zu
haben scheinst, erzähl ich einfach mal." Und in einem
Redeschwall komprimierte sie ihre 15 Jahre auf drei Stunden. Nur
kurz unterbrach sie sich selbst, meldete den Funkfrequenzwechsel
in Townsville und Weipa und plapperte weiter.
Thomas war fasziniert und überwältigt, mit welch reichem
Wortschatz und Sprachgewandtheit sie ihm alles erzählte. Das
hatte er ihr beileibe nicht zugetraut.
Das Ziel rückte näher. "So, nun muss ich mich konzentrieren",
meinte sie und stellte den Autopiloten ab. Der Tower von Weipa
meldete sich auf ihre Anmeldung hin und gab die nötigen
Informationen. Nur wenige Minuten später setzte Isabella die
Maschine butterweich auf.
Noch auf dem Rollfeld wurde er stürmisch von der gesamten
Familie überfallartig begrüßt. So viele Eindrücke musste er in
den vergangenen 30 Stunden verarbeiten, dass er sich kaum in der
Lage sah, die vielen Fragen zu beantworten. Jetzt waren es nur
noch zwei Stunden mit dem Wagen. Dann endlich durfte er
ankommen.
Seine Schwester wohnte weit draußen auf einer ehemaligen Farm.
Hier betrieb sie mit ihrem Mann eine Landarztpraxis. Sie und ihr
Mann waren das, was in Australien landläufig als "Flying Doctor"
bezeichnet wurde. Ein harter Beruf. Thomas sollte auch das am
eigenen Leibe noch kennenlernen.
Den ersten Tag hatte er fast vollständig verschlafen. Die lange
Reise, der Sprung über zig Zeitzonen und auch die ganz andere
Umgebung, das Klima und Essen. All das musste er langsam
verarbeiten. Tag um Tag der ersten Woche floss dahin. Er sog
jede Neuigkeit auf, die er kennenlernte.
Nach 14 Tagen kam Isabella auf ihn zu. "Willst du fliegen
lernen?"
"Wie? Fliegen?"
"Na, mit dem Trecker", grinste sie und musste dann lachen.
"Der steht doch im Hangar. In Weipa", versuchte er sich zu
erinnern.
"Nee. Der ist schon längst wieder hier. In Weipa sind wir nur
gelandet, weil der normale Check dran war. Hier draußen kommen
wir ohne Flieger nicht zurecht."
Ehe er sich versah, saß er wieder im Cockpit. Und Thomas hatte
mit diesem Tag beginnend Blut geleckt. Immer, wenn es eine
Möglichkeit gab, wollte er fliegen.
Eines Morgens kam über Funk ein Notruf rein. Noch während des
Frühstücks wurden sie an das Gerät gerufen. Eine Frau lag in den
Wehen, doch das Kind leider nicht in der normalen Geburtslage.
"Isabella! Mach den Jet klar. Wir müssen einen Kaiserschnitt
machen", rief Jane und hastete in die Praxisräume.
Thomas sah sich hektisch um. Wo wollten sie einen Jet
herbekommen? Wieso rannte seine Schwester in die Praxis? Doch
alle Antworten ergaben sich von selbst. Jetzt erst bekam das
etwas abseits liegende Gebäude für ihn eine Bedeutung. Aus der
unscheinbaren Halle drangen Laute aufheulender Düsentriebwerke.
Er traute seinen Augen nicht. Langsam schob ein Learjet seine
Nase ins grelle Sonnenlicht. Im Cockpit konnte er Isabella
ausmachen. Ihm gefror das Blut in den Adern.
"Jonas muss die Praxis heute allein machen. Thomas. Kannst Du
Blut sehen?", hechtete seine Schwester an ihm vorbei.
"Ich bin Sani und Krankenpfleger. Das weißt Du doch", rief er
verwirrt hinterher.
"Gut. Du wirst mir assistieren. Eine Schwester kann ich heute
nicht mehr abholen. Das überleben weder Mutter noch Kind."
"WAS?! WIE?!", schrie er aufgeregt.
"Helena!", rief Jane nach der Arzthelferin, ungeachtet seiner
Worte, "Du machst Anästhesie! Los! Beeilung!"
Noch bevor Thomas realisiert hatte, was um ihn herum alles
passierte, fand er sich auf einem Sitz in dem Jet wieder und war
angeschnallt. Nur in kurzen Sätzen bekam er die wichtigsten
Informationen.
"Isabella fliegt uns. Keine Panik, sie kann das. Der Flieger ist
für Graspisten ausgelegt. Das hier ist ein fliegender OP. Helena
ist ausgebildet für Narkose. Du wirst mich bei der OP
unterstützen. Es geht um das Leben einer Mutter und ihrem
ungeborenen Kind. Steißlage. Kaiserschnitt. Schließ die Augen
und atme ruhig. Denke nicht über das 'Davor' und auch nicht über
das 'Danach' nach. Ich brauche all Deine Kräfte. Thomas. Dieser
Tag wird Dein Leben verändern. Egal wie er ausgeht. Also.
Entspanne, auch wenn das lapidar klingt."
Und nach diesen Worten spürte er nur noch, wie die geballte
Turbinenkraft des Jets ihn in den Sitz presste und nach
gefühlten 20 Metern fast senkrecht in den Himmel katapultierte.
Sein Zeitgefühl hatte bereits nach dem Funkspruch ausgesetzt.
Und so landeten sie nur wenig später inmitten der Wildnis auf
einer notdürftig hergerichteten Stoppelpiste. Was alles geschah,
bekam er in der Eile gar nicht mit. Erst als eine vor Schmerzen
schreiende Frau vor ihm lag, schaltete sein inneres Programm
automatisch ein. Mit einem Male verflogen Angst und
Unsicherheit. Auch wenn er noch nie bei einer OP so dicht dabei
gewesen war, er funktionierte einfach nur wie ein Uhrwerk.
Anweisung. Ausführung.
Dann kam der Moment, der ihm noch heute einen Schauer über den
Rücken jagte.
Er zuckte. Das Wasser in der Wanne hatte sich abgekühlt. Aus
einem Tagtraum wachte er auf. Doch die Gedanken ließen ihn nicht
mehr los. Es war alles da. Jeder Laut, die Gerüche. Eilig
trocknete er sich ab, ließ das Wasser ablaufen und nahm den
Brief seiner Schwester. Im Bademantel legte er sich auf das
Sofa.
Jane setzte das Skalpell an. Er zog mit einer Art verbogenen
Gabeln die Haut auseinander. Sie setzte erneut an. Dann trennte
sie die Gebärmutter auf. Obwohl sie nur zu zweit waren, schien
es, als machten sie diese Arbeit seit Jahren Tag für Tag. Von
Helena bekamen sie ständig Informationen über den Zustand der
Patientin.
"Und nun holen wir den neuen Erdenbürger", flüsterte sie und
geleitete das Kind auf die Welt. "Nimm es mir mal ab", und sie
sah ihn mit einem sehr erleichterten Blick an.
Er traute sich fast gar nicht, dieses zerbrechliche Wesen
anzufassen. Doch als die Nabelschnur durchtrennt und
wahrhaftiges Leben in diesen winzigen Körper kam, schossen ihm
die Tränen in die Augen. Nach einer für ihn nicht messbaren Zeit
war alles überstanden. Mutter und Kind lebten. Einem Mädchen
hatte er unter diesen Umständen auf die Welt helfen dürfen.
Isabella klopfte und sah durch die Trennscheibe. Jane zeigte mit
ihren Fingern sieben an. Was auch immer das bedeutete. Als aber
nach fünf Minuten das erste Triebwerk anlief, war auch Thomas
klar, dass nun der Rückweg mit Mutter und Kind angetreten wurde.
Fertig, von Emotionen geschüttelt und überglücklich heulend saß
er angeschnallt im Sitz. Erst als die Tür nach draußen geöffnet
wurde, realisierte er, dass dieser Einsatz vorbei war.
Am nächsten Morgen kam Jonas nach dem Frühstück zu ihm. Thomas
hatte sich in den Garten verkrochen. Der gestrige Tag klang noch
nach. "Du hast dich sehr wacker geschlagen. Meinen herzlichen
Glückwunsch, lieber Schwager."
"Glückwunsch?", sah er ihn fragend an. "Ich habe das Gefühl, ich
..."
"Nee. Deine Schwester und du, ihr habt absolut perfekte Arbeit
geleistet. Isabella auch. Mutter und Kind sind wohlauf und
kerngesund. Nun kann ich es dir ja auch sagen. Jane hat dich
gestern angelogen. Isa ist gestern erstmals mit dem Ding allein
geflogen. Vorher war sie immer nur meine Copilotin. Doch gestern
war einfach ein Notfall. Ich habe sie gefragt und sie hat
ehrlich Ja gesagt. Sie täte es nie, wenn sie auch nur einen
Moment das Gefühl hätte, etwas nicht zu können. Dieses Mädchen
ist ein Naturtalent. Thomas, das behalte bitte für dich. Lass
Isa nichts davon spüren. Sie ist selbst fertig. Erst heute weiß
ich, dass ich ihr zu viel zugemutet habe. Doch ich wurde hier
gebraucht. Und Jane kann den Jet nicht sicher fliegen. Isa
schon."
Er war wieder allein. Tausende und doch keine klaren Gedanken
rauschten ihm durch den Kopf.
"Hallo Thomas", holte ihn eine Kinderstimme zurück.
Wortlos zog er sie auf seinen Schoß und umarmte sie fest. Er
sollte nichts sagen, aber dieses tapfere Mädchen drücken und
liebkosen, das wollte er. Sie war viel weiter über ihre Grenzen
gegangen, als er. In ihrem Gesicht stand auch noch der gestrige
Tag. "Du hast das wirklich bravourös gemeistert", flüsterte er
und küsste ihre Stirn.
"Ja, aber ..."
"Kein ABER, Isa. Deine Eltern sind sehr stolz auf dich. Und ich
auch. Du hast deine Sache wirklich sehr professionell gemacht.
Du bist ein Mordskerl. Ein sehr intelligentes und hübsches
Mädchen bist du. Und du weißt, deine Umwelt für dich zu
gewinnen. Geh deinen Weg so weiter, Isa. Wenn ich dir auch ein
kleines Stück dabei helfen darf, dann sag es." Fest drückte er
sie an sich. Und er spürte, wie eine Last von ihr abfiel und sie
zu weinen begann. Thomas hielt seine Nichte und gab ihr Nähe.
Sie war eben doch noch ein Kind. Dazu die Älteste der vier
Kinder und schon manchmal voll in den Praxisalltag eingebunden.
Ihm gingen ein paar Fetzen ausgetauschter Emails durch den Kopf.
"Danke, Thomas", sie hatte sich wieder beruhigt. "Du bist ein
toller Onkel", und es huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Es waren zwei Tage vergangen, als eine kleine einmotorige
Maschine auf der Graspiste landete. Ein älteres Paar sowie eine
junge Frau stiegen aus und gingen in die Praxis. Thomas saß im
Schatten der dichten Eukalyptusbäume und las. Nur eben hatte er
das Geschehen aus dem Augenwinkel beobachtet. Hier war es auch
für ihn Alltag geworden, dass die Patienten teilweise mit
Flugzeugen aller Art kamen.
"Thomas!", rief es aus der Praxis, "komm doch mal eben rein!",
winkte Jonas ihm zu.
Den Einsatz hatte er verarbeitet. Ja, dieser hatte sein Leben
verändert. Es war ein großartiges Gefühl, Menschenleben gerettet
und dazu noch ein neues Leben auf die Welt geholt zu haben. Sein
Job als Krankenpfleger im Hamburger UKE war nicht annähernd so
spannend. Gemächlich trottete er zum Haus. Es war noch nicht
einmal Mittag und das Thermometer zeigte bereits 39 Grad im
Schatten an. Sehr schnell hatte Thomas die Eigenschaft abgelegt,
hier laufen oder gar rennen zu wollen. Niemand in seiner
Umgebung hatte es eilig. Außer an solchen Tagen, wie er ihn
selbst erlebt hatte. Da ging man lieber aus dem Weg. "Ja. Was
ist?", stieß er die Fliegentür auf und ließ sie hinter sich
zuklappen, so wie jeder es hier tat.
Auf Englisch meinte Jonas: "Darf ich vorstellen. Das ist Mister
William Brown. Der Vater und Ehemann unserer Wöchnerin. Seine
Schwester Rosanna Brown mit Tochter Susan", ließ er Thomas
wissen. "Und das ist Mister Thomas Winter aus Hamburg. Der
Bruder meiner Frau. Er ist Krankenpfleger und
Rettungssanitäter", stellte Jonas ihn nun den Dreien vor. "Kommt
mit durch. Wir wollen mal sehen, wie es Karla geht." Und Jonas
ging vor, in den hinteren Teil der Praxis. Hier lagen ein
kleiner OP und drei Zimmer für stationäre Aufenthalte.
Der Besuch blieb spontan zum Mittagessen. Danach ging Thomas
wieder in den Garten und las weiter. Drückende Hitze, die Luft
schwül, und wenn er in die Sonne trat, meinte er, das Wasser auf
der Haut begann zu kochen.
"Mister Winter?", holte ihn eine junge Stimme aus der
Geschichte. Er sah hoch und war erstaunt, Susan vor sich zu
sehen.
"Yes? Susan, I'm Thomas. You are not balanced, aren't you?", er
plauderte einfach mit ihr. Und er konzentrierte sich nur auf ihr
Gesicht und die Augen. Der Rest würde unweigerlich Reaktionen
bei ihm hervorrufen, die bei 47 Grad im Schatten nicht gerade
für Abkühlung sorgten. "Take a Seat. Somthing to drink? Maybe a
water?"
Sie nickte und nahm schüchtern auf einem der Stühle platz.
"Danke. Ja. Ein Wasser. Gern."
Thomas war erstaunt. Nicht nur, dass sie doch mehr als nur eine
Handvoll Worte überhaupt kannte, sie sprach fast akzentfrei
Deutsch. "Und", reichte er ihr das Glas, "was kann ich für dich
tun?", doch er hielt seine Verwunderung zurück.
"Gar nichts. Ich wollte mich bei dir bedanken. Jonas hat uns
erzählt, wie es an dem Morgen plötzlich alles ganz schnell gehen
musste. Es war wohl auch dein erster Einsatz dieser Art."
"Oh ja. In der Tat", bestätigte er heftig nickend, "und ich bin
froh, dass er so und nicht anders verlaufen ist."
"Ja, das sind wir auch. Es sah nämlich bis zu eurem Eintreffen
sehr schlecht aus. Doch du hast ja mit Jane und Helena sehr gut
reagiert und gearbeitet. Und Isa hat wohl auch einen sehr großen
Anteil daran. Wir sind sehr glücklich. Und wir wollten dich
fragen, ob du ein oder zwei Tage zu uns kommen willst, als
kleinen Dank. Wenn wir dich wieder hierher bringen, können wir
am gleichen Tag Karla und ihr Töchterlein mitnehmen."
Er sah sie mit immer größer werdenden Augen an. Und er spürte,
wie langsam das Blut in den Kopf sowie auch die Lendenregion
gepumpt wurde. "Das ist aber nicht nötig, Susan. Als Sanitäter
bin ich verpflichtet, zu helfen. Und ich habe es gern getan."
"Überleg es in Ruhe. Wir fliegen in drei Stunden zurück", sie
stand auf und ging.
Thomas blieb der Mund offen stehen. Er konnte den Blick nicht
von ihr reißen und starrte diesem Geschöpf einfach hinterher.
Erst als sie im Haus verschwunden war, kam er wieder langsam zu
sich, nahm das Buch und las weiter. Aber seine Gedanken waren
nur noch bei dieser Susan.
"Thomas, hey", riss ihn Isa erneut heraus, "äh, du, das geht
nicht."
"Was? Wie? Was geht nicht?", er konnte nicht folgen.
"Das war zwar eine Einladung von Susan, aber eigentlich auch
nicht. Sie können dich ja nicht in dem Sinne bezahlen. Sie
erwarten, dass du zusagst. Das ist hier so bei uns. Du kannst da
nicht einfach 'Nein' sagen. Ich wollte mit dir zuerst sprechen,
bevor Papa auch gleich noch kommt. Also, du wirst wohl müssen",
und sie ging wieder.
Nur wenig später kam Jonas zu ihm. "Hör mal, Thomas. Du hast
Susan ..."
"Ja, ja. Ich weiß schon", unterbrach er ihn etwas genervt.
"Woher soll ich aber wissen, wie hier die Gepflogenheiten sind?
Außerdem ist dieses Ding in zu starker Nähe nicht gut für mich."
Jonas lachte lauthals los. "Na, du hast Nerven. Hast du sie
überhaupt mal richtig angesehen? Du, nicht Familie Brown lädt
dich ein. SIE lädt dich ein. Du bist echt blind. Die hat ein
Auge auf dich."
"Hey, hey, hey. Ganz langsam", sammelte Thomas die abgefeuerten
Sätze auf. "Die ist doch noch gar nicht reif, gepflückt zu
werden. Susan ist unmöglich volljährig. Und ..."
"Klar, mal wieder nur auf Äußerlichkeiten geachtet. Was meinst
Du, warum sie so gut Deutsch spricht? Aus der Zeitung? Das
'Ding', wie du sie nennst, ist 25. Susan hat Abitur mit 1,0
gemacht und studiert hat sie auch. Germanistik und
Kommunikationswissenschaften in Köln, wenn du es genau wissen
willst. Das Geld für das Studium hat sie sich als
Redaktionsassistentin beim Fernsehen verdient. Ihre Doktorarbeit
schrieb sie über Anglizismen in der deutschen Sprache und den
daraus resultierenden Folgen. Übrigens, summa cum laude. Das
Ding ist also nicht nur bildhübsch, das ist auch noch verdammt
schlau. So, und nun packst du für drei Tage deine Sachen und
fliegst mit. Basta." Jonas stand auf und haute ihm kräftig auf
die Schulter. "Außerdem, wer sagt, dass DU sie pflücken sollst?
Und warum meinst du, ist sie nicht gut für dich?" Mit einem
vielsagenden Grienen ließ er Thomas einfach sitzen.
Während er in die Maschine kletterte, kamen noch ein paar sehr
zweideutige Bemerkungen von Jonas und Jane. Zumindest meinte
Thomas, diese als solche zu verstehen. Natürlich saß er hinten,
neben Susan. Und es war nicht sehr viel Platz. Zwangsläufig
berührten sich ihre Oberschenkel und Becken. Es war ihm nicht
unangenehm, aber in der engen Nähe zu ihr, bei den Temperaturen
und vor allem etwas mehr als drei Stunden Flugzeit. Diese
Maschine schaffte gerade mal 200 Kilometer in der Stunde. Der
Jet brachte sie mühelos in nur 40 Minuten zum Ziel.
Der Lärm in der Kabine verhinderte leider jegliche Unterhaltung.
Er hätte gern mit ihr geplaudert, sie gefragt, wie es ihr in
Deutschland gefallen hatte. Doch sie waren nur auf Blickkontakte
und Zeichensprache angewiesen. Ab und zu deutete sie aus dem
Fenster. Meist waren es Wildtierherden, die über saftige Wiesen
zogen, oder besonders schöne Landschaftsstriche.
Trotz vorgerückter Stunde konnte Thomas auf dem Thermometer 32
Grad ablesen. Und dabei handelte es sich um die Außentemperatur
in gut 300 Meter Höhe. In der Kabine war es noch wärmer. Er
fühlte sich im eigenen Saft langsam aber sicher gegart. Und auch
Susan wischte sich immer öfter mit einem Handtuch Schweiß aus
dem Gesicht und von den Armen.
Doch Thomas nutzte auch die Nähe zu ihr ein wenig aus. Ihre
hellbraune, stufig geschnittene Kurzhaarfrisur konnte er nur
noch erahnen. Das viele Schwitzen ließ ihre nassen Haare am Kopf
kleben. Kleine, ovale Ohren. Er hatte nie so sehr darauf bei
einer Frau geachtet, doch heute hatte er erstens Zeit und
zweitens fand er das ihm zugewandte Ohr irgendwie niedlich. Wenn
er ihr in die dunkelbraunen Augen sah, meinte er die Glut der
australischen Wüste um den Ayers Rock zu erkennen. Thronend
darüber zierliche Augenbrauen, von der Sonne ausgeblichen zu
einem weißblonden Streifen, gleich den zarten Federwolken am
abendlichen Horizont. Lippen, die sehr verführerisch aussahen
und doch auch eine Entschlossenheit vermittelten, dass er nicht
einmal auf die Idee kam, diese einfach nur so küssen zu wollen.
Schmal waren sie, sanft geschwungen. Ihre Stupsnase wirkte im
Profil noch ausgeprägter, als wenn sie ihn direkt ansah. Am
schlanken Hals konnte er das Muskelspiel beobachten, wenn sie
sich bewegte und ihn auf irgendwas hinwies. Manchmal zeigte sie
mit ihren Fingern direkt aus dem Fenster. Er war versucht,
einfach die Hand zu ergreifen und sie zu streicheln. Grazile
Hände hatte sie. Zwar war der Einblick in ihre Bluse versperrt,
weil der Stoff mittlerweile auf ihrer Haut klebte, aber die
abgezeichneten Formen sprachen Bände. Kreisrunde, doch nach vorn
spitz zulaufende Brüste. Er konnte nur erkennen, dass sie ein
Hemdchen unter der Bluse trug, ein BH zeichnete sich nicht ab.
Der flache Bauch bebte leicht, nicht nur durch ihre Atmung. Doch
eine Erklärung hatte er nicht. Von ihren Beinen sah er nicht
viel. Die Siebenachtelhose verdeckten sie leider. Er war sehr
auf Beine fixiert. Schöne Beine waren für ihn eine Augenweide.
Endlich setzte William zur Landung an. Nun würde die Enge leider
und doch auch zum Glück ein Ende haben.
"Wir essen in einer halben Stunde", ließ Rosanna die beiden
wissen und ging ins Haus.
Susan geleitete ihn zu einem etwas abseitsgelegenen massiven
Holzhaus. "Hier wohnen wir", ließ sie ihn wie selbstverständlich
wissen und klappte erst die Fliegentür auf, um danach die
Haustür zu öffnen. "Komm rein. Hier kannst du erstmal deine
Sachen abstellen", deutete sie auf eine kleine Nische nahe der
Tür. "Ich zeige dir nun unser kleines, aber feines Domizil. Das
hier ist das ehemalige 'Caretakers House', also das des
Verwalters der Farm, als sie noch eine war. Die Ländereien haben
wir nach dem Tod meiner Großeltern allesamt verpachtet. William
hat ein Stück weiter eine Werkstatt für Landmaschinen und
Kleinflugzeuge." Dass Thomas mehr als verwundert kurz wie
angewuzelt stehen blieb, ignorierte sie einfach. Susan führte
ihn einmal herum.
Vier behagliche Zimmer. Eines davon für ihn. Ein sehr breites
Bett, fix und fertig bezogen. Links und rechts davon einfache
Nachtkommoden, darauf kleine Lampen mit roten Schirmchen. Dazu
ein Schrank sowie Tisch und zwei Stühle. "Hier schläfst Du",
sagte sie. Er schaute sich noch um, als sie einfach seine Hand
ergriff und ihn aus dem Raum zog. "Hier wohne ich", und sie gab
der Tür zu ihrem Zimmer einen kleinen Schwung. Ihr Raum hatte
ein ähnlich großes Bett und war fast identisch eingerichtet. Nur
hingen an den Wänden Regale mit Büchern und ein paar Bilder.
Ihren Tisch hatte sie als Schreibtisch vor das Fenster
geschoben. Ein Laptop darauf und eine geordnete Unordnung
irgendwelcher Unterlagen. Im Hinausgehen erhaschte er die
zufällig auf dem Bett liegende Wäsche. Blassgelb und mit sehr
viel Spitze. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sehr diese
Farbe auf ihrer gebräunten Haut aussehen würde. Allein der
Gedanke sorgte für vermehrte Blutzirkulation. Ein weiterer Raum
war bis auf abgestellte Möbel leer. Zum Schluss führte sie ihn
noch das Wohnzimmer. Hell und mit einer erhöhten Terrasse,
ebenfalls aus groben Holzbohlen. Es war sehr gemütlich. "Dort
ist das Bad und da die Küche. Wenn du noch auf Klo musst, dann
geh bitte jetzt, ich will nämlich duschen. Ich klebe am ganzen
Körper. Du kannst dann auch noch, wenn du willst." Die ganze
Zeit hielt sie seine Hand. Sehr weich und locker, doch auch
signalisierend, nicht loslassen zu wollen.
Thomas verschwand kurz und schnappte dann seine Sachen, um das
ihm zugedachte Zimmer zu beziehen. Er hörte das Wasser im Bad
rauschen, während er ein paar Kleidungsstücke auspackte. Doch
seine Gedanken wanderten immer drei Wände weiter. Sollte Jonas
recht haben? Warum hielt sie plötzlich seine Hand? Sollte ein
'Danke' der besonderen Art auf ihn warten? Hoffentlich nicht.
Denn er war imstande, ihr zu verfallen, sollte er sie auch nur
einmal küssen oder streicheln können. Diese Susan, sie war nicht
nur attraktiv. Sie war Verlockung und Verführung in Reinnatur.
Geduldig verharrte er sitzend auf dem Bett. Eine Tür fiel ins
Schloss, kurz darauf eine Zweite, aber nur, um gefühlte Sekunden
später wieder aufzugehen.
"Wir kommen zu spät. Du musst nachher duschen", hauchte Susan in
sein Zimmer und blieb im Türrahmen stehen.
Ihm klappte der Mund auf. Ungläubig starrte er auf das, was da
stand und ihn mit der dargebotenen Schönheit schlagartig
verzauberte. Die Haare noch leicht feucht, ein hautenges weißes
Top, durch welches der gelbe Spitzen-BH schimmerte. Kurz unter
dem Rippenbogen glänzte freie samtene Haut bis zum Bund des
Minis. Er suchte ein Wort. Gab es 'Makros' in der
Bekleidungswelt der Frauen? Doch er hatte keine Zeit, es zu
ergründen. "Ja, ich komme", und er hätte es sowohl als auch
sagen können.
Rosanna hatte im Haus den Tisch gedeckt. Als wenn nicht schon
genug auf ihn eingestürzt war, sollte er Susan gegenüber seinen
Platz einnehmen. Nur mit Mühe und Konzentration konnte Thomas
seine Verunsicherung verbergen.
Die Frauen tischten auf. William und er sollten sich schon mal
setzen. Ein kurzes Gebet und die Schüsseln gingen reihum. Nun
erfuhr Thomas auch, warum Rosanna hier wohnte und auch immer
noch 'Brown' hieß. Susans Vater kam bei einem Unfall ums Leben,
bevor Rosanna überhaupt wusste, dass ihre Tochter unterwegs war.
Karl verdiente sein Geld als Trucker. Sein Truck war eigentlich
einer der legendären Road-Trains. Er fuhr für eine
Mineralölgesellschaft und lieferte Flugzeugbenzin an die
abgelegensten Orte Australiens. Eines Nachts sah Karl zu spät
das Wildrind auf der Piste. Trotz Bullfänger schleuderte das
Tier hoch und krachte in die Kabine. Das war es dann. Und das
war jetzt 26 Jahre her. Susan kam in diesem Haus auf die Welt.
Auf diesem Tisch. Jonas' Vater wurde damals gerufen, als Rosanna
in den Wehen lag. Mit einer alten und klapprigen Piper Alpha
landete er auf der Wiese neben dem Haus.
Thomas zucke zusammen. Ein nackter Fuß strich an der Innenseite
seiner Wade zum Knie hinauf. Er fand es aufregend, aber nicht
passend. Erst recht nicht hier und in dieser Gesellschaft. Schon
verfluchte er sich selbst, vorhin die Beine der Zipphose
abgenommen zu haben. Er saß eigentlich nur in Shorts da. Tief
sah er ihr in die Augen und schüttelte nur ganz zaghaft den
Kopf. Der Fuß verschwand, um doch nur noch einmal sehr zart über
seinen Knöchel zu streifen.
Bei einem Glas Wein saßen sie zu viert noch zusammen. Susan
gähnte sehr provokant und doch irgendwie auch zurückhaltend.
"War ein langer und harter Tag", nickte William. "Nehmt die
Flasche und eure Gläser mit. Es wird Zeit fürs Bett. Ihr könnt
ausschlafen. Unser Tag beginnt um 6 Uhr."
Thomas hielt Susan auf dem kurzen Weg zurück an. "Was sollte das
vorhin?"
"Was?", kam es katzengleich bei ihm an.
"Du weißt, was ich meine."
"War es nicht schön?"
"Susan!", sagte er sehr ernst, "ich bin gern deiner Einladung
gefolgt. Ja. Aber ich möchte kein 'Danke' in dieser Form. Ich
hab meinen Job gemacht. Fertig. Du bist sehr hübsch und ich bin
hin und hergerissen. Doch ich spiele nicht mit etwas, bei dem
ich von Anfang an weiß, dass ich das Spiel verliere. Ich bin
dein und euer Gast. Aber ich bin auch für dich kein Spielzeug.
Ich bin Thomas Winter. Und ich werde nicht mit dir schlafen,
weil du meinst, du musst eine Schuld begleichen. Wenn, dann will
ich dich ganz und für immer. Aber nicht für einen oder zwei
Tage. Und ich habe meine Arbeit in Hamburg." Er drückte ihr sein
Glas und die Flasche in die Hand und ging ins Haus. Obwohl er
gern noch unter die Dusche gegangen wäre, zog er sich aus und
legte sich hin. Er hatte befürchtet, dass es genau so ablaufen
würde. Sex als Gegenleistung für eine Arbeit, die für ihn
selbstverständlich war.
Thomas lag im Bett und dachte nach. Ja, seine Worte waren hart.
Aber auch ehrlich. Diese Susan durfte er nicht als Dank für eine
Arbeit annehmen. Er kannte sie kaum und doch fühlte er sich zu
ihr hingezogen. Es klopfte zaghaft an seine Tür. Im selben
Moment bekam er Herzklopfen. "Ja", raunte er heiser.
Susan öffnete die Tür und trat ein. "Mach bitte Licht an",
flüsterte sie in die Dunkelheit. "Ich will und muss mit dir
reden."
Thomas tastete nach dem Schalter.
Im Nachthemd stand sie im Raum und nahm platz auf der Bettkante
nahe beim Fußende. "Du bist sehr grob mit deinen Worten gewesen,
Thomas. Und es kostet mich auch Überwindung, jetzt bei dir hier
zu sitzen. Aber ich will Klarheit in deine Welt bringen. Du
denkst, ich muss dafür bezahlen, damit die Schulden bei William
und Karla beglichen sind. Aber du denkst falsch. Ich gebe zu,
dass ich sicherlich einen falschen Eindruck bei dir hinterlassen
habe, als wir am Tisch saßen. Das ist wahr. Doch ich habe nicht
einfach nur so deine Hand gehalten, während wir durch das Haus
gegangen sind. Ich habe mich auch nicht absichtlich oder
provozierend hier so frei bewegt, obwohl du im Haus und ich
unter der Dusche war. Thomas, mein Vater war ein Aborigine.
Diesen Menschen sagt man nach, sie können Seelen sehen. Ich KANN
Seelen sehen. Jonas ruft mich oft an und holt mich ab, wenn es
Fälle gibt, bei denen er nicht weiter weiß. Das wollte ich dir
nur sagen. Wir werden hier eine schöne Zeit haben und ich werde
dir viel von unserer Umgebung zeigen. Aber wir werden nicht
miteinander schlafen, und ich werde mich auch zurückhalten und
dir nicht zu nahe kommen. Das verspreche ich dir. Außer, DU
möchtest es. Und nun schlaf gut." Susan stand auf und verließ
den Raum. Weder sah sie ihn noch einmal an, noch hinterließ sie
eine Geste, die ihn bewogen hätte, sie zurückzuhalten.
"Ich bin ein Esel, ein Volltrottel, ein totaler Idiot", schalt
er sich leise.
Susan schloss lautlos ihre Tür und ließ dann erst ihre Tränen
laufen. Er sollte sie weder sehen noch hören, wenn sie weinte.
"Warum behandelt er mich schroff?", dachte sie immer wieder
nach. "Nur weil ich ihn mag? Nur weil ich es gesehen habe und
ihm eben gesagt habe, dass ich es sehen kann?" Sie rollte sich
in ihrem Bett unter der dünnen Decke zusammen und rief immer
wieder das Gefühl seiner Hand ins Gedächtnis zurück. Diese Hand
sprach Bände. Und nicht nur die Hand. Susan sah wieder seine
hellen wachen Augen. Magisches Blau, wie das des Great Barrier
Reefs. Das Leuchten dieser Seelenfenster stach durch seine fast
schwarzen Augenbrauen noch deutlicher hervor. Die kurzen
schwarzen Haare, die hohe Stirn. Sein ganzes Gesicht erschien
ihr wie ein perfektes Gemälde. Breite starke Schultern, an die
sie sich gern angelehnt hätte. Kräftige Arme, die ihr Halt geben
würden. Wie sehr schmerzte es sie gerade jetzt, ohne Vater
aufgewachsen zu sein. William gab sich alle Mühe, aber er konnte
ihr nie den Vater ersetzen. Nur dieser Thomas, nur er, er würde
ihren Verlust auffangen. Sie zuckte zusammen, als eine Hand in
der Dunkelheit nach ihr suchte.
"Susan. Ich bin es", flüsterte er.
Doch sie hörte schon an der Atmung, dass nur er es sein konnte.
Wortlos schob sie ihm ihre Hand entgegen, nur Sekunden später
hatten sie sich gefunden. Und sie fragte sich, wie er lautlos
bis zu ihr gefunden hatte.
"Ich weiß, dass du weinst und ich will mich bei dir
entschuldigen, Susan. Ich habe nur Angst davor", flüsterte er
und ließ einfach seine Geschichte herauslaufen. "Ich habe eine
sehr große Enttäuschung hinter mir. Meine letzte Freundin hat
mich sehr tief verletzt. Sie war von mir schwanger und wir
wollten heiraten. Wir liebten uns auch. Dann war sie eines Tages
plötzlich weg und ich habe vier Monate nach ihr gesucht.
Gefunden habe ich sie bei einem ehemaligen Freund. Und sie hatte
abgetrieben. Sie hat nicht einmal das Gespräch mit mir gesucht,
sie hat einfach abgetrieben, nur weil sie mit einem Male keine
Lust mehr auf das Kind hatte. Was ich dachte, wie ich fühlte,
das war ihr egal. Sie degradierte mich nur zum Erzeuger. Sie sah
in mir weder einen Vater noch einen Mann. Das ist jetzt über ein
Jahr her. Aber ich habe seit dem Tag Angst, dass ich mich
verliebe und dass ich wieder sitzen gelassen werde. Darum zog
ich diese Mauer um mich. Susan, du kannst nichts dafür und du
hast auch mit der Sache nichts zu tun, aber ich habe Angst. Das
wollte ich dir nur sagen. Gute Nacht", und er zog seine Hand
langsam fort.
"Bleib hier", flüsterte sie verweint und hielt seine
Fingerspitzen umklammert. "Thomas, bitte lass uns beide jetzt
nicht alleine. Lass mir noch ein paar Minuten Deine Hand."
Ohne sie zu fragen, hob er kurz die Decke an und krabbelte zu
ihr. Für ihn lagen die Karten jetzt offen auf dem Tisch. Und er
wusste, dass in diesem Moment unweigerlich ein ganz neues Spiel
begann. Ein Spiel ohne verdeckte Karten, ohne gezinkte Karten.
Er wusste auch, dass er nur diese wenigen Tage hier bei ihr sein
würde. Doch das Wissen um eine schöne Zeit schmerzte nicht so
sehr, wie ein Dolchstoß ins Herz. Thomas drehte sich zu ihr und
schloss sie fest in die Arme. "Schlaf gut, liebe Susan. Wenn es
dich nicht stört, bleibe ich die Nacht hier." Er spürte ihr
leichtes Beben, als sie die Luft einsog und dann fest an ihn
geschmiegt kurz darauf einschlief. Ihm gingen nur noch ein paar
verblasste Erinnerungen durch den Kopf, bevor Morpheus' Arme ihn
auffingen.
Thomas erwachte, als Susan sich ein wenig streckte und auch
gerade die Augen aufschlug. "Guten Morgen", hauchte er, "was es
nicht zu unbequem?"
"Unbequem? In deinen Armen? Nein, ganz bestimmt nicht. So gut
habe ich schon lange nicht mehr geschlafen. Guten Morgen,
Thomas. Und du? Hast du gut geschlafen?" Ein wenig keck musste
sie doch schmunzeln.
"Och ja, ich würde lügen, wenn es mir nicht gefallen hätte",
grinste auch er etwas verunsichert. "Wie sieht es aus mit
Frühstück?"
"Ich muss erstmal ins Bad. Wenn du willst, kannst du Kaffee
machen." Sie stand langsam auf und schenkte ihm einen sehr
neckischen Blick.
Thomas sah ihr nur hinterher. Und was er zu sehen bekam, als sie
die Tür öffnete und ihr Nachthemd von der Sonne durchflutet
wurde, sorgte augenblicklich für Unruhe, vor allem in seiner
Hose. Als sie zurückkam, lag er immer noch im Bett und sah zur
Tür. "Bleib da mal stehen", flüsterte er, "es sieht toll aus,
wenn die Sonne deine Konturen sanft nachzeichnet."
"Ach du!" lachte sie, "du wolltest Kaffee machen."
"Ich weiß doch gar nicht, wo ich alles finde", neckte er und
fing sie anschließend auf, weil sie sich lachend auf ihn
stürzte. "Hey, hey, nicht so stürmisch", hielt Thomas sie auf
Abstand, zog sie sanft näher, umarmte sie fest und versank mit
ihr in einem nicht endend wollenden Kuss. Ihre weichen Lippen
umschmeichelten ihn.
Seine Hände konnten sie nicht mehr nur halten, sie wollten
dieses Geschöpf streicheln, ihr Zärtlichkeit geben, ihr
schweigend sagen, wie sehr er sie in diesem Moment begehrte.
Langsam strichen sie über ihren Rücken, erreichten die Lenden,
nur eben den Ansatz und dann lagen seine Hände vorsichtig
knetend auf ihren wohlgeformten Hinterbacken. Kein weiterer
Stoff, nur dieses dünne Nachthemd trennten sie von ihrer Haut.
Vor Erregung schnaufend lag Susan auf ihm. Nur ein wenig stützte
sie sich hoch, gab seinem stillen Wunsch ihre Zustimmung das
Hemd hochzuschieben, half nach und lag bar wieder auf ihm.
Augenblicklich fühlte sie seine großen kräftigen und doch so
zärtlichen Hände überall. An jeder für ihn erreichbaren Stelle
genoss sie sein hingebungsvolles Verwöhnen. Durch die dünne
Decke drückte sein hartes Glied prickelnd auf ihre
empfindlichste Stelle. Bei jeder Bewegung rieb es daran und
steigerte ihre Lust. Ihre Beherrschung fand ein Ende. "Thomas!",
gierte sie, "ich will dich jetzt."
Noch bevor er reagieren konnte, hatte sie ihn ausgezogen und
sein pulsierendes Schwert in ihrer Scheide versenkt.
Es gab kein Halten mehr. Sie trieben einander an, stöhnten ihre
Lust sich gegenseitig zu und brachen mit der Welle der Erlösung
nach Luft ringend zusammen.
Es schüttelte ihn immer noch vor Erschöpfung.
"Hallo! Thomas! Was ist? Thomas, aufwachen", sprach ihn eine
Stimme leise an und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
"Was? Wie?", musste er sich erst noch orientieren.
"Liebling, warum weinst du? Warum schnaufst du so erregt?",
sanft streichelte sie ihn wach.
Stumm hielt er ihr den noch ungeöffneten Brief seiner Schwester
entgegen. Seine Augen ließen sie wissen, wo er gerade gewesen
war. Thomas zog sie zu sich und hielt sie fest umschlungen. Nach
einer Weile sagte er leise: "Susan, ich möchte wieder nach
Hause."
Sie suchte seinen Blick. "Was möchtest du? Nach Hause?"
"Ja, Susan. Ich möchte gern in der Praxis meiner Schwester
arbeiten. Und du könntest auch wieder ..."
"Thomas, wir müssten uns aber bald entscheiden, wenn du solch
großes Heimweh hast."
"Warum?", sah er sie mit großen Augen an. Doch seine Frau griff
nur nach seiner Hand und legte sie tief in ihren Schoß.
"Darum, mein Liebster."
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