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Romy überreichte mir in der Boutique eine Mappe mit
Bewerbungsunterlagen. Die junge Frau um die es ging, stand schon
hinter Romy, sah mich an und gab mir ihre Hand. "Lena", stellte
sie sich vor. Ich hielt ihre Hand, musterte sie von oben bis
unten. Sie war unaufdringlich und passend gekleidet für ein
Vorstellungsgespräch. Sie hatte ihre rotblonden Locken zu einem
Pferdeschwanz gebunden, schien kein Makeup zu tragen, nicht
einmal einen Lippenstift. Sie war bildschön, ihr Lächeln war
eine Waffe und ich war am Boden festgewachsen.
Romy rettete mich, indem sie Lena einen Kaffee anbot. Die lehnte
dankend ab, nahm lieber ein Wasser und folgte mir in unseren
Besprechungsraum. Sie war nicht nervös, rutschte nicht auf ihrem
Sessel herum, trank ihr erstes Glas Wasser aber beinahe in einem
Zug aus. Meine Augen klebten an ihren Lippen, als sie das Glas
berührten. Ich musste mich zwingen, nicht daran zu denken, sie
zu küssen.
Ihre letzte Aufgabe bestand darin, eine aus ihrer Sicht zu mir
passende Auswahl unseres Sortiments zusammenzustellen. Es
mussten keine Dessous sein aber ein Outfit, das sie für
vollständig hielt. Ich zeigte ihr den Mitarbeiterbereich mit der
kleinen Garderobe und wartete dort auf sie.
Es war schwer, um nicht zu sagen unmöglich, mich mit meiner
eigenen Ware zu überraschen aber als ich in den Spiegel sah,
musste ich grinsen. Die Schuhe, die sie ausgesucht hatte,
passten perfekt und waren nach meinem Geschmack. Die halterlosen
Strümpfe gingen glatt durch. Die Korsage saß wie angegossen. Mit
einem Kleid darüber wäre das Outfit perfekt gewesen aber so
konnte ich kaum auf die Straße gehen.
Den Bewerber vom Vormittag hätte ich durch den Vorhang von
seinem Totalversagen informiert. Lena sollte ruhig einen Blick
auf ihr Werk werfen. Mir war danach. "Bist du sicher, dass du
nichts vergessen hast?" Ich ließ den Vorhang zur Seite gleiten,
noch bevor ich meine Frage beendet hatte und präsentierte mich
meinem rotblonden Traum. "Ich finde nicht, dass Sie mehr tragen
sollten." Sie machte einen zaghaften Schritt auf mich zu und sah
aus, als wollte sie mich nicht nur umarmen sondern gleich
verschlingen. Ich war wie hypnotisiert als wir einander umarmten
und ihre Lippen meine berührten. Meine Frage nach ihren
Neigungen war damit hinreichend beantwortet.
Sie hätte unmöglich anders schmecken können, weil sie dann nicht
so perfekt gewesen wäre. Ihr Duft, ihre rötlichen Locken, die
Nase, alles an ihr war wie ein 3-D-Print meiner Phantasie oder
meine Phantasie war nicht mehr im Stande, etwas anderes
hervorzubringen als sie. "Das war die hinterhältigste und
zugleich dreisteste Verführung aller Zeiten", beschwerte ich
mich, "und die schönste noch dazu." "Ich habe nur gemacht, was
du gesagt hast. Dafür, dass du darin so unwiderstehlich
aussiehst, kann ich nichts." Ich küsste ihr den unschuldigen
Blick aus dem Gesicht und hielt sie umklammert als sei sie Teil
meines Outfits.
Sie lächelte mich an und sah auf die Uhr. "Wie lange habt ihr
auf?" "Viel zu lange. Was hältst du davon, mit zu mir nach Hause
zu kommen? Sagen wir, für ein paar Jahre?" Sie lachte. Und ich
war hin und weg. "Sagen wir erst mal für ein Wochenende?"
"Deal."
Wir saßen zehn Minuten später in meinem Auto, nachdem eine
grinsende Romy mich in mein vorzeitiges Wochenende verabschiedet
und "die Neue" begrüßt hatte. Lenas Lippen berührten während der
gesamten Fahrt mein Ohrläppchen und sie erklärte mir in
bildreichen Details, wie mein Wochenende verlaufen würde. Ich
war das Gegenteil von verkehrstauglich. Zumindest, was die
Straße anging.
Bei Einbruch der Dunkelheit hatte Lena die meisten ihrer
Drohungen wahrgemacht und ein paar lächerliche Revanchen dafür
eingesteckt. Sie bekam eine Zahnbürste und schätzungsweise noch
ein paar hundert Küsse, bevor sie einschlief. Ich sah ihr beim
Atmen zu bis ich zu müde dazu war.
Am Morgen weckte ich sie nicht direkt, weil sie so ein schöner
Anblick war und ich ein paar Zentimeter von ihrem Gesicht
entfernt lag, um einzuatmen, was sie ausatmete. Als ich nicht
mehr anders konnte und sie küsste, sah sie mich müde an.
"Morgen." Sie blinzelte, schloss ihre Augen ein paar Mal und
hatte wieder dieses Lächeln, das mich von innen her auffraß.
"Ich würde dir das gerne verschweigen, kann ich aber nicht. Ich
glaube, ich habe mich ein bisschen in dich ..." Ich traute mich
nicht. Das war idiotisch. Ein Tag! Ein halber! Ich war
verschossen, vielleicht. Aber sie so zu überrumpeln, war
kindisch und unfair. Ich riss mich zusammen. Sie sah mich ohne
Blinzeln an, richtete sich halb auf und legte sich auf mich.
"Nur ein bisschen?", sie sah augenblicklich wieder nach
Verschlingen aus und so verliebt wie ich mich fühlte, "ich bin
mehr als ein bisschen ..." Ich verdrehte die Augen. Mein erster
Impuls war, sie auf der Stelle zu heiraten und schon der zweite
sagte, dass das eine völlig bescheuerte Damals-in-der-Disco-Idee
war.
Das bis dato schönste Wochenende auf Erden fand beinahe
ausschließlich im Bett statt. Ich fragte sie über ihr halbes
Leben aus und hätte ihr ein Buch in die Hand gedrückt, wenn mir
die Fragen ausgegangen wären, weil ich ihre Stimme so gerne
hörte. Ihren Lippen beim Sprechen zuzusehen war wie ein Kino,
das meine Gefühlswelt lesen und in Bilder umwandeln konnte. Sie
lachte mich aus, wenn ich sie so offenkundig verliebt ansah und
war dann noch schöner. Das führte regelmäßig dazu, dass ich
nichts mehr fragte und sie nicht mehr antwortete, weil unsere
Lippen miteinander beschäftigt waren. Die Blicke, mit denen sie
meine beantwortete, wenn sie nicht lachte, hatte ich seit Jahren
vermisst und jetzt konnte ich mich an keine anderen mehr
erinnern.
Am Montag musste ich früh in die Boutique und ließ Lena im
zufriedenen Halbschlaf zurück. Sie wollte später nach Hause,
sich aber melden. Romy hatte ein Dauergrinsen im Gesicht, das
meine Laune zu spiegeln schien. "Wie war dein Freitag?" "So wie
der Samstag und Sonntag, danke." "Ich meine Lena. War sie ihr
Geld wert?" Sie sah mir an, dass mir das wehtat und ich sah ihr
an, dass sie sich verplappert hatte. "Du hast sie bezahlt?" "Sie
war mein Geburtstagsgeschenk. Keine gute Idee?" Ich schüttelte
den Kopf, weil darin eine komplette Welt zusammenbrach. Ich
brachte Termine hinter mich und verabschiedete mich früh von
einer Romy, die heute sicher auch nicht alt werden würde. Sie
sah mich kaum an, als ich ging.
Ich fuhr nicht nach Hause, weil Lena sowieso nicht wiederkommen
würde. Mein Frust ließ sich nur widerwillig in Drinks ertränken
und die unbeholfenen, deutlicher werdenden Anmachen meines
Barnachbarn führten zu ein paar sehr deutlichen
Zurechtweisungen, die meinen Frust nicht abzubauen vermochten.
Lena schrieb ein paar SMS, die mir wohl klarmachen sollten, dass
sie noch Termine freihatte. "Schreib mir einfach, wann und wo es
dir passt", war die letzte und ich überlegte, ihr eine
gepfefferte Antwort zu schicken, wischte ihre Nachrichten aber
einfach weg. Marketing, Kundenbindung, das konnte sie sich
getrost sparen. Ich fühlte mich unfassbar dämlich und hasste
mich dafür, wie eine Fünfzehnjährige auf dieses hinterhältige
romantische Rollenspiel reingefallen zu sein.
Weil ich zu betrunken war, um mich weiter aufzuregen und noch
länger zu bleiben, schrieb ich eine harsche SMS an Lena, die ihr
unmissverständlich klarmachte, dass ich auf weitere Dienste
verzichtete und sie weitere Belästigungen gefälligst zu
unterlassen habe. Ich löschte ihre Nummer und ihre Nachrichten.
Die letzte SMS ging an Romy. "Was kostet so eine? Hoffentlich
nicht zu viel!! Im nächsten Jahr bitte wieder Blumen!" Ob Romy
antwortete, bekam ich nicht mehr mit.
Als ich vor Romy stand und mich für die nächtliche Belästigung
entschuldigte, sah sie verwundert auf ihr Handy. "Hundert."
"Euro?" "Nee, Rubel, klar Euro, was dachtest du was so ein
Luxusdate kostet?" "Für ein Wochenende?" "Hä? Für eine Stunde!
Wo lebst du?" "Du hast sie nur für eine Stunde bezahlt?" "Klar,
bin ich Krösus? Moment, wie lange war sie ..." Ich sah nach, ob
Lena sich noch einmal gemeldet hatte, sie hatte nicht. "Scheiße!
Hast du ihre Nummer, Adresse oder so?" Sie hatte. Die Nummer war
falsch und die Adresse gehörte zu einem Autohaus, vor dem ich
jetzt stand. Ich rief Romy an. "Wie hast du sie ... also du
musst sie doch kontaktiert haben." "Agentur, warte mal ... geht
nur per Kontaktformular. Soll ich ..." "Ja!"
Romy rief zurück. "Die rücken keine Daten raus aber ich kann sie
nochmal buchen." "Mach das!" "Für wann?" "Jetzt!" Schweigen
"Jetzt!!" "Bin ja schon dabei!" Ich legte auf.
Als ich zur Boutique zurückkehrte, blieb mein Blick an einem
unserer Schaufenster hängen. Nicht wegen der Dekoration, die
auch nett war, eher wegen der davor kauernden Schönheit. Als sie
mich sah, stand sie auf. Sie zitterte am ganzen Leib und sah aus
wie das Elend in Menschengestalt. "Die Verkäuferin hat gesagt,
dass du unterwegs bist. Du bist nicht rangegangen, also hab ich
hier auf dich gewartet." Der kurze Blick auf mein
stummgeschaltetes Smartphone zeigte eine zweistellige Anzahl
verpasster Nachrichten und Anrufe. Sie heulte wie die
Fünfzehnjährige, die sie gestern aus ihrem Smartphone und ihrem
Leben gelöscht hatte. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände, weil
es genau da hingehörte. "Ich wollte doch nur mit dir reden! Ich
hab das nicht nur für Geld gemacht. Am Anfang schon aber du bist
... ich wollte es dir sagen aber ich konnte nicht." Ihre Stimme
versagte. Ihr Blick tat weh und da wo ihr Lächeln hingehörte
waren nur Tränen und Zittern. Ich umarmte sie und drückte sie
fest an mich. "Du bist das beste Geburtstagsgeschenk aller
Zeiten." Meine Tränen mischten sich mit ihren als könnten sie
ihrer Verzweiflung etwas von meinem wiedererlangten Glück
beimischen.
Sie beruhigte sich allmählich, schien mich aber nie mehr
loslassen zu wollen. "Den Job würde ich immer noch nehmen." Für
mehr als ein lautloses Lachen konnten wir unsere Lippen nicht
voneinander fernhalten. "Ich habe keinen Job für dich. Wenn du
willst habe ich einen Platz in meinem Leben für dich."
Ich rief Romy an. "Ich nehme mir heute frei." "Hast du sie
gefunden?" "Habe ich." "Dann storniere ich meine Buchung wohl
mal." "Mach das." Ich konnte Romy durchatmen hören. "Viel Spaß.
Und nächstes Jahr gibt es wieder Blumen!"
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